Peregrins Petition

Abonnierte und Gratiszeitungen in Niederurnen verteilt Peregrin Bäcker v/o Ecureuil – seine Petition will die Parasportler in die Olympiade integrieren. (Foto: FJ)

In der Woche vor Ostern will Peregrin Bäcker zu Fuss losziehen, um seine Petition am Sitz des IOC in Lausanne zu überreichen. Er plant, diese 246 Kilometer in vier Tagesetappen zu gehen, sein Training holt sich Bäcker beim Austragen von abonnierten und Gratis-Zeitungen – u. a. des FRIDOLIN – für Somedia Distribution in Niederurnen und Oberurnen.

In der Cafeteria des Altersheims Niederurnen ist am Donnerstag um 08.00 Uhr noch Frühstückszeit, da hat ­Peregrin Bäcker seine Verteilung schon abgeschlossen. Meist arbeitet er nachts ab 23.00 Uhr. An diesem feuchten Februartag trägt er einen regenfesten Sportdress, den unvermeidlichen Rucksack und ein Stirnband, auf dem die violette Lilie der Pfadfinderbewegung prangt, stolz unterschreibt er seine Mails mit dem Vulgo «Ecureuil». Ob damit das niedliche Eichhörnchen oder der überall hinfliegende Helikopter gemeint ist? Zu ihm passen würde beides, immerhin ist er seit über 40 Jahren – also fast das ganze Leben – auf der Walz und nimmt die Jobs an, die er bekommt. Nicht nur als ausgebildeter Bäcker, sondern auch als Babysitter oder Zeitungsverteiler. Er lebte auch in mehreren Klöstern, gibt Gregorianik-Gesangskurse nach dem Gehör, hat aber nie die Profess abgelegt. Inzwischen ist er 62 Jahre alt und sagt von sich: «Ich hoffe, dass ich in meinen letzten Jahren noch mehr Inklusion erleben darf, die Integrationsprogramme der Politik sind gut, aber das könnte noch aktiver werden.»

Mit Hand und Herz
«Ich, mit Spastik 80.1 gemäss Weltgesundheitsorganisation, bin bestens integriert», sagt Peregrin von sich. «Ich besuchte damals Anfang der 1970er Jahre die Rudolf-Steiner-Schule in ­Basel – da gab’s noch kein HarmoS. Es gab jeweils einen dreiwöchigen Hauptunterricht mit einem Thema sowie die ganzen Nebenfächer, die bei mir zu Hauptfächern wurden, Werken, Handarbeit, Eurythmie, Schülertheater, Musik.» Chemie, Physik und Mathematik dagegen lagen und liegen ihm nicht: «Ich war als Kind ein Träumer und habe daraus nur Vorteile gezogen, denn aus dem Traum entsteht der Wunsch, aus dem Wunsch entsteht ein Effort und aus einem Effort kann etwas Grosses entstehen.» Damit meint Peregrin seine Einzelpetition, in der er die Abschaffung der Paralympics und volle Integration in die Olympischen Spiele fordert: «Wir Parasportler gehören an die Olympischen Spiele der Elite als Zeichen der Vollständigkeit menschlichen Lebens und menschlicher Wür­de.» Doch gibt er zu: «Vielleicht ist meine Petition nur ein Traum, viele sagen zu mir, das ist nicht machbar, da das IOC nicht beweglich ist. Ich sage: Deshalb muss man Druck aufbauen, um das IOC zu bewegen. Es gibt die dumme Aussage, dass einer allein nichts bewegen kann – aber Greta Thunberg hat gezeigt, dass es funktioniert: Eine allein kann.»

Sichtbar werden
Die heutige Gesellschaft zielt auf Inklusion. «Die Inklusion ist die einzige Gesellschaftsform, die über kurz oder lang noch Bestand haben wird», folgert Peregrin. «Es muss in dieser Gesellschaft mehr Empathie und mehr Pragmatismus her. Wer aus dem Ausland kommt, der bringt etwas mit, woraus wir Einheimische etwas lernen können, so wie die Ausländer von uns lernen – anders funktioniert es nicht.» Dazu gehört es, die anderen erst einmal kennenzulernen, bevor man sie beurteilt: «Ich habe auf der Walz mal einen Selbstversuch gemacht und lebte in Marseille drei Wochen mit den Clochards auf der Strasse. Ich habe da ganz gescheite Menschen kennengelernt, die einfach Pech mit dem System hatten.»

Doch was ist Peregrin Bäckers Ziel? Warum gibt er seinen Körper her und will sich mit einem Schild auf die Strassen von Lausanne setzen? Es geht darum, gesehen zu werden. «Wenn die Olympiade nur die Elite zeigt, so werden wir als Menschen mit besonderen Bedürfnissen nicht sichtbar. Dabei sind die Leistungen der Eingeschränkten teilweise riesig – wenn ich an kleinwüchsige Bankdrücker denke oder an den Spanier Alex Roca, der zu 76 Prozent gelähmt ist und den Marathon bei der Elite läuft. Denn wer nicht sichtbar ist, um den muss man sich auch nicht kümmern. Es ist eine Willenssache, jedes Olympiastadion hat zwei Anlagen für Hoch- und Weitsprung, Kugelstossen usw. Vielleicht muss die Olympiade dann halt drei Wochen dauern statt zwei. Und es braucht mehr Kategorien – allein wir Spastiker sind in vier Kategorien unterteilt – aber man müsste mal sagen, probieren wir es mal. Ich habe das Leben lang nichts anderes gemacht als auszuprobieren und fuhr damit immer gut.» Der FRIDOLIN wird über seinen Oster-«Siechenmarsch» zum IOC nach Lausanne berichten.

FJ

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