475 Jahre Freiberg Kärpf – Bedeutung für die Fauna heute

Braucht die Winterruhe zum Überleben: Schneehuhn im Frühling vor dem Tödi.(Foto: Albert Schmidt)

Zum 475. Geburtstagsfest des Freibergs Kärpf erscheint im FRIDOLIN – in Zusammenarbeit mit der Stiftung Pro Freiberg Kärpf/Mettmen-Alp – eine Reihe von Artikeln zu Themen und Events rund um das älteste Wildschutzgebiet Europas.

In «Die Rückeroberung» erzählt Franz Hohler, wie Wildtiere zurück in die Stadt kommen. Doch nach der Französischen Revolution war es genau umgekehrt. Als das Volk mit Herrschen begann, verlangte es als erstes die freie Jagd und eroberte sich so von den Adligen dieses Jagdregal (das hoheitliche Recht (Regal), die wild lebenden Säugetiere und Vögel jagdlich zu nutzen) zurück. Das führte, so Biologin Sabine Herzog, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Sektion Wildtiere & Artenförderung beim Bundesamt für Umwelt BAFU, zur ersten «Biodiversitätskrise», auch in der Schweiz. Die Wildtierbestände wurden nahezu ausgerottet, wegen übernutzter Wälder kam es zu Erosion und Überschwemmungen. Das führte dazu, dass der Bund am «17. Herbstmonat 1875» das «Bundesgesez» über Jagd und «Vogelschuz» erliess, welches in Artikel 15 festlegte: «In den Kantonen Appenzell, St. Gallen, Glarus, Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern, Freiburg und Waadt sind je ein, in den Kantonen Bern und Tessin je zwei und in den Kantonen Wallis und Graubünden je drei Bannbezirke (Freiberge) von angemessener Ausdehnung auszuscheiden und unter die Oberaufsicht des Bundes zu stellen.»

Die Ziele veränderten sich
«Damals», so Herzog, «war die Rückkehr der Bestände das Ziel. Das Gesetz unterschied die Tiere in Nützlinge und Schädlinge, legte Schwerpunkte auf Muttertierschutz und auf die herbstliche eingeschränkte Jagd. Die Kantone waren aber frei, wo sie die Gebiete ausscheiden wollten. Also geschah es – wie im Kärpfgebiet – vielerorts dort, wo schon ein Wildtierschutzgebiet war oder an abgelegenen Standorten, wo wenige Leute Anspruch stellten. Jetzt sind diese Gebiete wie Perlen über die Schweiz verteilt, viele liegen vergleichsweise weit weg von der Zivilisation und bis auf einige Gebiete – etwa Freiberg Kärpf, Schwägalp/Säntis oder Schwarzhorn/Grindelwald – sind sie touristisch sanft genutzt.»

Doch wie haben sich die Zielsetzungen im Lauf der vergangenen 100 Jahre in Bezug auf Wild- und Naturschutz geändert? 1991 wurde die neue Verordnung geschaffen, in die neue Aspekte einflossen. Da die Tiere vor Jagd geschützt waren, hatten sich die Bestände erholt, die Zielsetzung des Jagd- und Vogelschutzgesetzes war erreicht. Das bestätigt Dr. Christoph Jäggi, Abteilungsleiter Amt für Jagd und Fischerei Kanton Glarus. «Die Bedeutung der Gebiete als Wildreservoir geht zurück. Die Ursprungsidee war der Bestandesaufbau. Es gab leere Gebiete, gut abgeschlossene Gebiete, die kontrollierbar waren – so dürfte Landammann Joachim Bäldi damals im 16. Jahrhundert das Gebiet ausgesucht haben. Heute sehe ich die Bedeutung im Vorrang, den die Wildtiere hier haben sollen. Tierpopulationen sollen sich möglichst unbeeinflusst vom Menschen entwickeln können. Natürlich nicht so wie im Schweizer Nationalpark: Man kann im Freiberg wandern, Pilze suchen, es braucht sogar Abschüsse von Tieren, wegen der Schutzwaldproblematik. Wir haben Bähnli in den Wildtierschutzgebieten – etwa bei Aeugsten (Jagdbanngebiet Schilt), oder Alpen (Jagdbann Rauti-Tros). Der Versuch ist, Räume zu schaffen, wo Wildtiere sich unbeeinflusst entwickeln können. Gämsen mit Steinböcken, Steinböcke mit Hirschen, relativ naturnah – das schafft Konflikte mit unseren Vorstellungen, etwa bei der Schutzwalddiskussion oder der Waldbewirtschaftungsdiskussion.»

Heutige Herausforderungen
Sabine Herzog bestätigt: «Die Herausforderungen  sind heute andernorts,  etwa bei der Störung der Tiere durch Freizeitaktivitäten. Es geht um Schutz und Erhaltung von wildlebenden Tieren, insbesondere in den für sie sensiblen Zeiten, bei Dämmerung, in der Nacht oder im Winter. Deshalb gelten im Winter Routengebote: Wintersportlerinnen und -sportler sollen  auf Strassen und Wegen sowie auf den speziellen Routen für Tourenski und Schneeschuh bleiben. Die Tiere wissen dann , wo sie in Ruhe gelassen werden, sie verlieren so auch keine Energie und kommen gut in den Frühling.» Zu Beginn ging es vorrangig um Schutz den der Huftiere, inzwischen auch um alle anderen Säugetiere und Vögel. So wies eine Studie allein im Freiberg Kärpf 93 Brutvogelarten nach – man rechnet also mit etwa 100 Arten dort. 

Grosszügige Rückzugsräume
Bei Gämsen belegt eine Studie, dass ihre Struktur im Banngebiet viel naturnäher ist. Die Datenanalyse zeigt das in den Banngebieten – vor allem im Kärpfgebiet. Natur-Bestände gibt’s heute höchstens noch im Nationalpark, aber es geht um naturnähere Bestände, die eben auch mal eines natürlichen Todes sterben, mit einer gesunden Altersstruktur. Dazu brauchen die Tiere Rückzugsmöglichkeiten. Solche Räume zu schaffen ist das Ziel der Jagdbanngebiete. «Je grösser zusammenhängend die Fläche, desto näher kommt man diesem Ziel», so Christoph Jäggi. «Deshalb ist der Freiberg Kärpf – als eines der grössten Gebiete – sehr wichtig für dieses Ziel. Selbst nach der geplanten Verkleinerung.» Deshalb, so Jäggi, sollen Landwirtschaft und Freizeitnutzung dort zurückgebunden ­sein. Obwohl die Jagdbanngebiete sich fast wie ein Netz über den Alpenbogen ziehen, sind sie kein geplantes Netz. Doch sie sind «Perlen», wie Sabine Herzog sagt, und da sie speziell zum Schutz von Arten und Lebensräumen ausgeschieden wurden, werden sie – als Kerngebiete im Sinne der ökologischen Infrastruktur – ins Netz der natürlichen und naturnahen Lebensräume integriert, das für die Biodiversität so wichtig ist. Um Wanderungen zwischen Gebieten oder Wieder- und Neubesiedlungen zu ermöglichen, können ergänzend weitere ökologisch wertvolle Flächen als Vernetzungsgebiete geschützt und aufwertet werden.

Und wie kann man beurteilen, ob das Tier im Jagdbanngebiet wildtiergerecht leben kann? Christoph Jäggi: «Ein Faktor ist die Sichtbarkeit des Tieres, wenn man also viele Tiere tagsüber sieht, so kann das Tier dort seiner Natur nach leben.» Sind also von der Wildbeobachtungsstation aus viele Tiere zu sehen, haben die Menschen im Freiberg Kärpf alles richtig gemacht.

FJ

Back To Top