Die Bevölkerung ernähren

Fritz Waldvogel und seine Tiere: Wertschätzung ist der Boden fürs gute Gedeihen. (Foto: FJ)

Die Bauernprotestwelle kommt näher – erst erfasste sie Deutschland, dann Frankreich und vergangene Woche protestierten die Romandie, das Baselland und der Aargau. Welche Gründe hätten die Glarner Bauern, auf die Strasse zu gehen, und wie sieht es mit dem Verdienst und der gesellschaftlichen Wertschätzung aus? Eine Standortbestimmung. 

Auch wenn die Glarner Bauern jährlich eine bescheidene Rückzahlung aus dem Treibstoffzolltopf bekommen, es ist nicht ihr Agro-Diesel, um den sie sich sorgen. Tiefer geht da schon die Entfremdung zwischen Kunden und Bauernstand. «Es gibt die Erwartungshaltung eines Teils der Bevölkerung, dass auf unseren Böden mehr für den direkten menschlichen Verzehr produziert wird, also dass auf den ackerfähigen Böden Kartoffeln und Getreide angebaut werden», sagt Bauernpräsident Fritz Waldvogel. «Aber das Risiko beim Ausfall ist höher bei Getreide oder Kartoffeln – etwa in einem feuchten Jahr.» Trotzdem bestellen einige ihre Felder immer wieder mit Getreide und Mais und neu haben einige Glarner Bauern begonnen, Dinkel anzubauen, der im Glarnerland gemahlen wird, woraus unter anderem Teigwaren produziert werden. «Da geht es darum, den Konsumenten dazu zu bringen, es auch zu kaufen, denn der Nutzen aus unserer Landwirtschaft muss auch konsumiert werden – selbst wenn es bloss Süssmost ist. Zudem öffnet sich die Schere zwischen Produzenten- und Konsumentenpreisen, das ist die grösste Herausforderung, die wir haben. Auch der Handel ist damit gefordert. Wenn der Konsument kaufen würde, was er an der Urne abstimmt, hätten wir nicht dieses grosse Gefälle.»

Rückläufige Einkommen
Weniger Einkommen, höhere Kosten und mehr Arbeit führen zur Konzentration der Betriebe – manche Glarner Bauern geben oder gaben schon auf. Doch was geschieht mit dem Kanton Glarus, wenn die Landwirte sich aus dem Berggebiet zurückziehen? Marco Baltens­weiler, Abteilungsleiter Landwirtschaft Kt. Glarus, zeigt das anhand des Einkommens auf: «Das landwirtschaftliche Einkommen wird zur Abschätzung der wirtschaftlichen Tragfähigkeit der Betriebe verwendet. Die Einkommensanalyse von Agro­scope zeigt, dass das landwirtschaftliche Einkommen pro Betrieb im Berggebiet von 2015 bis 2021 von rund 50 000 auf 61 000 Franken angestiegen ist. 2022 und 2023 ist ein Einkommensrückgang auf geschätzte 56 000 Franken zu verzeichnen.»

Höhere Kosten
Als Ursache nennt Baltensweiler «die starke Teuerung bei den Produktionsmitteln. Der Bauernverband wies im November 2023 darauf hin, dass das landwirtschaftliche Einkommen mit 17 Franken pro Stunde mittlerweile weit unter dem Niveau des Vergleichseinkommens von 40 Franken liegt. Diese Einkommensschere ist letztlich der Haupttreiber für die Aufgaben von landwirtschaftlichen Betrieben, die auch im Glarnerland zu verzeichnen ist. Folge davon ist, dass die verbleibenden Bauernfamilien mehr Flächen zu bewirtschaften haben. Es wird versucht, dieses Flächenwachstum mit leistungsfähigeren Maschinen aufzufangen. Wenn dies nicht gelingt, steigt die Arbeitsbelastung. Es gilt festzuhalten, dass ein solcher struktureller Wandel schleichend vonstattengeht. Erst über einen längeren Zeitraum sind die Auswirkungen sichtbar, mit einer Aufgabe von Grenzertragsflächen oder einer Intensivierung der gut zu bewirtschaftenden Flächen. Die Folge davon ist einerseits eine Zunahme des Waldes und anderseits eine Abnahme extensiv bewirtschafteter Wiesen und Weiden.»

Arbeit für zwei, Lohn für einen
Fritz Waldvogel zeigt das an seinem Betrieb auf: «Es sind 25 Hektaren, die wir bewirtschaften. Als Bio-Betrieb versuchen wir, standortangepasst zu produzieren, aber das reicht einkommensmässig nicht mal für einen Verdienst. Zur Erledigung unserer Arbeit braucht es aber 1,5 bis 2 Arbeitskräfte, wir sind zu dritt auf dem Betrieb.» Der Sohn ist zu 100 Prozent auf dem Betrieb, Fritz Waldvogel arbeitet zusätzlich in der Fleischveredelung der Metzgerei Menzi, seine Frau noch in der Küche des Kantonsspitals. «Es wäre schon tschent, wenn man von der Hofarbeit leben könnte. Zumindest, dass die 1,5 Arbeitskräfte auch aus dem Betrieb finanziert werden können.» Denn selbst wenn die Direktzahlungen hoch sind, «von all den Kosten und Aufwänden, die wir dafür haben, wird das wieder weggefressen. Der Haken an der Sache ist: Es braucht mehr Wertschöpfung, denn die Direktzahlungen bringen uns in die Abhängigkeit vom Staat.» Zudem wird den Bauern im Zusammenhang mit den Direktzahlungen immer mehr aufgebürdet – seien es die Kosten für Anschaffung und Unterhalt von Schleppschlauchfässern oder die nicht vollständig abgegoltenen Herdenschutzmassnahmen gegen den Wolf.

Näher zu den Verbraucher/-innen
Die Bauern arbeiten bei der Erarbeitung der «Regionalen Landwirtschaftlichen Strategie» (RLS) im Forum GlarnerLandWirtschaft zusammen mit anderen Interessengruppen und dem Kanton proaktiv daran, die Herausforderungen von Klima und Biodiversität anzugehen. Doch, so André Siegen­thaler, Biobauer und Mitglied der Fachkommission Grossraubtiere des Glarner Bauernverbandes, neben den ökologischen und wirtschaftlichen Grenzen gelte es, auch einmal auf die sozialen Grenzen zu schauen, also konkret darauf, was die Bauernschaft zu leisten vermag. Siegenthalers unkonventioneller Vorschlag: Jeder und jede sollte wieder ein paar Hühner oder Kaninchen halten oder wenigstens im Pflanzgarten oder auf dem Balkon selbst Gemüse und Früchte ziehen. Einfach, um selbst zu erleben, wie aufwendig und anspruchsvoll das ist. Sonst drohe der Graben zwischen Stadt und Land. Die Bergbevölkerung werde zu «Indigenen», die Alpen zum Reservat. «Und wenn uns der Staat in diesem Reservat den Wolf aufzwingt», so Siegenthaler, «so muss er sich um diesen kümmern. Mit verschiedenen politischen Mitteln haben Bauern in Zusammenarbeit mit Nicht-Bäuerinnen im Landrat bereits Massnahmen beschlossen, wie das Besendern des Raubtiers. Der Memorials­antrag der Bauerngruppe Glarus Süd zur fairen Entschädigung bei Rissen kommt 2025 an die Landsgemeinde.» Ein weiterer Vorschlag: «Futtermittelimport bedeutet Energieimport. Deshalb sollte darauf eine vorgezogene Recyclinggebühr erhoben werden, damit der daraus entstandene Mist und die Gülle wieder an den Ursprung zurückgebracht werden können, da diese dort sonst fehlen und durch Kunstdünger ersetzt werden müssen.»

Demo organisieren
Die Frage, wofür oder wogegen die Bauern heute auf die Strasse gehen sollten, habe man am Mittagstisch mit den Kindern diskutiert, sagt Siegenthaler, der die französische Streikkultur kennt. Einige Erfolge habe die Bauerngruppe Glarus Süd mit «Papierdemonstrationen» erreicht, so etwa die Rückweisung der Nutzungsplanung, um die Ge­wässerräume entlang von Sernf und Linth zu redimensionieren. Für Fritz ­Waldvogel geht es immer wieder darum, der Bevölkerung die Realität aufzuzeigen: «Es ist ein riesiger Aufwand, unsere Arbeit so zu erklären, dass wir zu unserem Verdienst kommen. Im Preis für die Produkte ist die Aufklärungsarbeit nicht mitgerechnet.» Einig sind sich Siegenthaler, Waldvogel und Baltensweiler, dass der Bevölkerung immer mehr das Bewusstsein abhandenkommt, wer für ihre Ernährung sorgt – derzeit sind das immerhin noch zu rund 50 bis 60 Prozent die Landwirte der Region (gemessen in kcal am Verbrauch der Glarner Bevölkerung). Während Corona gab es kurzzeitig einen Run auf Produkte der einheimischen Landwirtschaft – doch so etwas geht auch schnell wieder vergessen. Auf die Frage, was ihn denn auf die Strasse bringen würde, antwortet Marco ­Baltensweiler: «Beim Erarbeiten der landwirtschaftlichen Strategie wurde oft die fehlende Wertschätzung genannt. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass bei ständiger Zunahme der Regelungsdichte und der anhaltenden Kritik an der Landwirtschaft – Stichworte Biodiversitätsverlust und Klimawandel – ein Gefühl der Ohnmacht entsteht und letztlich in Protesten auf der Strasse münden kann. Es ist wichtig, zu betonen, dass die heute aktiven Landwirte nicht die Schuld an der Biodiversitäts- und Klimakrise tragen. Die Landwirtschaft ist Teil der Gesamtwirtschaft; das Handeln der Bauernfamilien folgt der gleichen Logik wie die übrige Wirtschaft! Somit ist von einer gemeinsamen Verantwortung – vom Produzenten über die Verarbeiter, die Detailhändler und die Konsumenten – zu sprechen. Ich plädiere dafür, an einer gemeinsamen Zukunftsvision zu arbeiten und uns alle als Teil der Lösung und nicht als Teil des Problems zu sehen.»

FJ

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