Brenzlige Zeiten unter Simon Enzlers Brennglas

(Foto: zvg.)

Auf Ihrer Facebook-Seite fragte ein Ihnen nicht allzu freundlich gesinnter Kommentarschreiber, warum die Veranstalter Ihrer Anlässe nicht auch dazu aufgefordert würden Strom zu sparen, indem sie solche Events auf bessere Zeiten verschieben oder absagen.
Simon Enzler: Spannend, sehr schön!

Solche Anlässe seien in keiner Art und Weise lebensnotwendig und verbrauchten bloss sinnlos Strom, fand der Mann. Sein Kommentar blieb unbeantwortet. Was würden Sie ihm entgegnen?
Prinzipiell ist es gut, Strom zu sparen. Natürlich muss irgendein Gemeindesäli, wo ich auftrete, beheizt werden. Aber bei mir ist dieser Mensch an den Falschen gelangt. Privat bin ich in Sachen Energieeffizienz nämlich ein Vorreiter. Mein Haus ist super gedämmt, ich produziere mehr Strom als ich verbrauche und fahre seit acht Jahren rein elektrisch. Alleine mit dem, was ich in den letzten Jahren durch Effizienzmassnahmen eingespart habe, kann ich noch lange auf Tournee gehen.

Das tun Sie seit Anfang Oktober mit Ihrem neuen Programm ‹brenzlig›. Davor waren Sie auf der ‹Appenzeller Welttournee›. Nach dem 2020er-Lockdown hatten Sie prophezeit, das Publikum werde künftig kleiner sein, der Aufwand steigen und die Gagen sinken. Was davon hat sich bewahrheitet?
Bei mir glücklicherweise eigentlich nicht viel. Das Publikum kommt nach wie vor. Ich höre aber von manchen Veranstaltern und Künstlern aus der Szene, dass sie wirklich Mühe haben. Es kommen weniger Leute und wenn, dann spontaner. Die Sicherheit brach gewissermassen weg. Ein namhafter Künstlerkollege sagte mir unlängst, er habe 30 Prozent weniger Publikum. Natürlich kann das auch andere Gründe haben, etwa dass man einen Künstler langsam gesehen hat, wenn er drei Programme am Stück bringt. Wie sich die Gagen entwickelt haben, kann ich zu wenig beurteilen, weil ich mit niemandem darüber sprach. Dazu muss ich aber auch sagen, dass sich die Ticketpreise vor Corona ziemlich hochgeschaukelt hatten. Als die Säle stets voll waren, wünschten viele Veranstalter, mit den Preisen etwas hochzugehen. Mir wurde das irgendwann zu viel. Ich habe immer darauf geachtet, Mass zu halten. Ich bin nicht so der Optimierer. Ich spiele viel zu gern, um in kürzester Zeit das Maximum herauszuholen. Lieber trete ich vier Mal im Kleintheater auf als einmal im Volkshaus. Ich habe dadurch zwar mehr Aufwand und verdiene am Ende weniger, aber ich bin einfach wahnsinnig gerne auf der Bühne.

Nahmen Sie im Publikum Veränderungen wahr?
Als die Leute nach den Lockdowns wieder ins Theater kommen konnten, spürte ich gieriges Interesse und unglaubliche Dankbarkeit. Ich trat in Mehrzweckhallen auf, die mich aufgrund ihrer Grösse eigentlich abschreckten. Die Leute sassen im Saal verzettelt, doch die Stimmung war magisch. Ich habe selten schönere Auftritte erlebt. Wir sassen ja alle im selben Boot. Keiner von uns konnte etwas dafür, aber alle wollten einen guten Abend haben.

Erfahren Sie seit der Pandemie mehr Wertschätzung?
Unbedingt. Vielen wurde bewusst, dass Live-Events keine Selbstverständlichkeit sind. Ob unsere Arbeit systemrelevant ist, ist mir eigentlich egal. Sie muss es nicht sein. Ich will ja bloss zwei Stunden Freizeit mit den Leuten teilen – ein Luxus, den man sich leisten kann.

War 2022 ein dankbares Jahr, weil Ihnen die Themen zuflogen oder war es eher mühsam, weil Sie Ihr Programm mehrmals anpassen mussten?
Mühsam war es überhaupt nicht. Ich schreibe jeweils einen Grundstock an Texten zu menschlichen oder philosophischen Metathemen. Hinzu kommen alltägliche zwischenmenschliche Betrachtungen. Gleichzeitig halte ich stets Platz frei, um auf Aktualitäten reagieren zu können. So nutzte ich die Gelegenheit, um unsere Sparmentalität und ihre Widersprüche zu thematisieren. Sind wir tatsächlich bereit, auf einen gewissen Luxus zu verzichten? Wir sind uns gewohnt, dass alles funktioniert. Und jetzt heisst es plötzlich, wir sollen mal einen Pullover anziehen und weniger lang duschen – oder zu zweit.

Wie gehen Sie vor, wenn Sie ein neues Programm zu schreiben beginnen?
Im Verlauf der Zeit schnappe ich irgendwo Themen auf und mache Notizen. Mit dieser Sammlung sitze ich an einem bestimmten Datum hin und stecke mir das Ziel, innerhalb von drei Monaten ein Programm zu schreiben. Dann mache ich schnell viel. Ich arbeite sehr konzentriert, fast wie ein Buchhalter.

Ist das längst Routine oder doch zuweilen auch ein Kampf mit diversen Stufen von Verzweiflung?
Mir kommt zugute, dass ich seit 18 Jahren Texte für die ‹Zytlupe› auf ‹SRF 1› schreibe. – Gebrauchskomik mit relativ kurzer Halbwertszeit. Der Auftrag ist klar: Wochenaktualität, sechs bis sieben Minuten Zeit und jetzt mach! Meistens lese ich zwei Artikel und versuche sie zu verquicken, indem ich Zusammenhänge schaffe, die es gar nicht gibt. Beim Schreiben habe ich nie Verzweiflungsphasen. Ich hatte auch noch nie nur ansatzweise Schreibstau oder Angst, dass mir die Themen ausgehen würden. Mit dem Schreiben beginnt für mich die Kreativität. Wenn ich an der Tastatur sitze, beginnt es zu brodeln und zu denken. Durch den Wald zu wandeln und von der Muse geküsst zu werden, dieser romantische Gedanke ist wirklich Gugus. Das kenne ich nicht. Wenn ich ein Programm geschrieben habe, lasse ich es etwas ‹südere›, nehme es im Sommer wieder hervor, diskutiere mit Leuten, die es gegengelesen haben, und überarbeite es. Dann beginne ich es auswendig zu lernen. Sobald der abstrakte Text eine Stimme erhält, realisiere ich, ob etwas zu papierig oder zu wenig elegant ist – und ob man mir das überhaupt abkauft. Irgendwann ist der Text in einer Form, die mir zu erkennen gibt, dass der ‹point of no return› längst durch ist und ich damit auf die Bühne muss. Erst dann, wenn das Programm praktisch fertig im Kopf sitzt, fangen die Zweifel an und ich denke: «Mist, jetzt ist es das, was es ist. Wenn es nicht giiget, giiget es nicht.» Damit habe ich je länger desto mehr Mühe. Je mehr Erfahrung und Routine ich habe, desto grösser werden die Zweifel, ob es nochmals klappt.

Wer ein Ticket für ein EnzlerProgramm kauft, hegt gewisse Erwartungen und schubladisiert Sie dadurch. Fürchten Sie, sich zu wiederholen?
Nicht die Wiederholung, sondern die Relevanz besorgt mich. Dass das Publikum denken könnte: «Das, was der da auf der Bühne macht, geht mich nichts mehr an. Ich finde es nicht lustig, weil er zu abstrakt geworden ist, zu abgehoben oder voller Sendungsbewusstsein.» Dabei will ich ja eigentlich, dass das Publikum beim Zuhören mit hämischer Freude denkt: «Gut ist dem das passiert und nicht mir.» Gleichzeitig merken manche, dass ihnen das blöderweise auch schon passiert ist.

Ihre Bühnenfigur einfach als hinterwäldlerischen, stockkonservativen Polteri und Plagööri abzustempeln, würde ihr nicht gerecht, denn sie überrascht zuweilen auch. Wie schmal ist der Grat zum Klischee?
Grundsätzlich ist eine Bühnenfigur sowieso ein Klischee, aber man kann es eleganter darstellen oder plumper. Ich gebe mir Mühe, die Leute anzusprechen und zu unterhalten. Es muss möglich sein zu lachen. Wäre mein Programm aber nur zum Lachen, wäre es wie ein Sirup: konsumiert und weg. Ich finde es schön, wenn mir jemand ein paar Tage nach einem Auftritt sagt, er habe sich Gedanken über die eine oder andere Nummer gemacht. Ich möchte, dass etwas hängen bleibt, dass das Spiel auf der Bühne zwischen abgrundtief und ‹sauchogelustig› oszilliert. Inhaltlich ist es eine Geschmacksache. Ich mache keine Witze über Sexualität und fände es auch müssig, im Moment etwas über irgendwelche Gender-Geschichten zu machen, auch wenn das auf extrem fruchtbaren Boden fallen würde. Erstens macht das mittlerweile jeder und zweitens ist es mir dermassen egal, wie sich die Leute diesbezüglich selber sehen, definieren und fühlen, dass ich dazu nicht auch noch etwas sagen muss. Ich will anderes besprechen: Neid, Missgunst, Abgründe das finde ich spannend.

Viel von Ihrem Rohstoff finden Sie direkt vor der Haustür …
… oder in der Familie.

Ist es Ihnen im Appenzell manchmal aber auch etwas zu eng?
Ich kompensiere es auf Tournee und bin froh, wenn ich reisen kann oder mal ein paar Tage in einer Stadt bin. Umso älter ich werde, desto lieber bin ich weg – und komme zusehends weniger gerne wieder nach Hause. Vor einem Jahr war ich bei minus 20 Grad am Nordkap, notabene mit dem Elektroauto. Im Sommer war ich erneut in Norwegen, diesmal im Süden. Ich könnte mittlerweile überall leben. Mein Heimatbegriff hat sich von einem Ort zu einem Gefühl entwickelt. Heimat ist nicht dort, wo meine Wiege stand, sondern wo ich mich wohl fühle. Früher hatte ich Heimweh, heute ist das für mich völlig undenkbar.

Wie blicken Sie auf Ihre Auftrittslosigkeit während der Corona-Pandemie zurück?
Die Vorteile überwiegen! Ich hätte mich verkopfen und die Politik und alles schlecht finden können. Dann wär’s auch so gewesen. Aber das ist weder meine Haltung, noch meine Weltsicht. Ich erinnerte mich stets an die Worte Karl Valentins: «Wenn es regnet, soll man sich freuen. Denn wenn man sich nicht freut regnet es auch.» Ich wende keine Energie auf, um mich über Zeug aufzuregen, das ich nicht in der Hand habe. Ich habe anderes in der Hand, zum Beispiel wie ich meine Zeit sinnvoll nutze. So begann ich während Corona mit Dani Ziegler wöchentlich ein Filmchen zu machen. Im Übrigen war ich mich ja schon vor Corona gewohnt, mit auftrittsfreien Zeiten umzugehen.

Existenzängste?
Nie. In gewissen Sachen bin ich ein extrem altmodischer, konservativer Typ: Ich habe eine GmbH, bezahlte stets meinen ALV-Beitrag ein und wurde während der Lockdowns behandelt wie ein Handwerker, erhielt also 80 Prozent meines versicherten Einkommens. Aber in der Szene gab es natürlich auch so Vögel, die nie ALV bezahlt hatten und nachher jammerten, der Staat habe sie hängen gelassen. Ich freute mich derweil, von einer Versicherung mal etwas zurückzuerhalten. Es wäre ja blöd, ein Leben lang Vollkasko zu bezahlen, aber nie einen Unfall zu haben.

Ihre Berufskollegen gingen ganz unterschiedlich mit den Corona-Massnahmen um. Andreas Thiel wehrte sich an vorderster Front dagegen. Auf der anderen Seite des Corona-Grabens geizte etwa Mike Müller nicht mit seiner Meinung. Sie schwiegen nicht, hausierten aber auch nicht mir Ihrer Meinung. Wollten Sie keinesfalls einen Teil Ihres Publikums verärgern oder lag das einfach daran, dass Sie den Platz von Künstlern primär auf der Bühne sehen?
Prinzipiell hat es damit zu tun, dass ich nicht twittere. Ich finde Twitter schrecklich. Mike Müller und Peach Weber äusserten sich dort sehr pointiert und ich hatte ab und zu Freude, wenn mir etwas davon zugespielt wurde. Ich habe mich ein paar Mal in der ‹Zytlupe› geäussert. Ansonsten sprach ich darüber, wenn ich gefragt wurde, aber ich wurde selten gefragt. Zudem wusste ich eigentlich gar nicht, was ich sagen sollte, denn die Diktatur, von der manche erzählten, nahm ich nicht wahr. Ich hatte das Gefühl, dass unser Land, wenn auch mit gewissen Verfehlungen und Verzögerungen, nicht schlecht mit der Pandemie umging. Als Künstler, finde ich, muss man sich entscheiden: Will man Komiker oder Nationalrat sein? Auf Facebook fetzte ich mich zwei Tage lang mit Leuten, aber ich erkannte schnell, dass es nichts brachte. Die Leute waren auf einem Dampfer, der schon zu weit weg war, um noch zu wenden. Ich staunte, dass Leute, die ich seit Jahren kannte, Sachen sagten wie: «Jetzt hast du dein wahres Gesicht gezeigt. Endlich wissen wir, wer du bist.» Ich fand, das ging jetzt aber auch lange. Das hätten sie auch früher merken können. Die Diskussion ging schnell von der Sachlichkeit weg und in persönliche Angriffe und Unterstellungen über. Manche fanden, es sei ja klar, dass ich nicht ehrlich sein konnte, weil ich ja bei ‹SRF› Geld verdiente und quasi von Alain Berset bezahlt würde. Wenn die wüssten …! Als Kolumnist bei ‹SRF› wird man nicht Millionär, sondern hat einfach eine Gage, die locker in einem Hosensack Platz hat.

Freier Schweizer

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