Besser planen und Lasten verteilen

Balthasar Glättli, Präsident GRÜNE Schweiz. (Foto/Video: FJ)

Am Samstag, 26. März, war Balthasar Glättli, Präsident der Grünen Schweiz, im Rahmen der Schweizer Delegiertenversammlung in der Berufsschule Ziegelbrücke zu Gast. Der FRIDOLIN sprach mit ihm über Umweltkosten, das gemeinsame Haus Europa, den Wolf und über die Klimafonds-Initiative.

Herr Glättli, Sie sind ein Grüner, der in der Stadt lebt. Wo haben Sie Ihren «Wald» in Anführungszeichen?

Einer dieser Wälder in Anführungszeichen ist gleich neben dem Ort, wo ich wohne. Die so genannte Stadionbrache, dort wo irgendwann in den nächsten Jahren vielleicht das neue Fussballstadion von Zürich entsteht. Jetzt aber ist das eine Wildnis, die von den Menschen im Quartier, insbesondere von den Kindern und Jugendlichen genutzt wird. Wo man sich verstecken kann, wo es Wollschweine gibt, wo es Büsche und Bäume hat, auch eine Skateranlage, Gärten – das ist ein Ort, wo ich vor allem auch mit meiner kleinen Tochter hingehe, da ich da nicht zuerst ins Tram steigen muss, um Natur erleben zu können.

Der Kanton Glarus ist – nach wie vor – ein Industriekanton, der im Ausland absetzt. Wie können unsere Industriebetriebe wettbewerbsfähig bleiben, wenn die Schweizer Umwelt-abgaben steigen?

Ich glaube, die Herausforderung für alle exportierenden Branchen, die in Glarus aber speziell ins Gewicht fällt, ist, dass man auch hier mit Faktoren zu tun hat, die einen auf dem Weltmarkt auf preislicher Ebene nicht bevorzugen. Sie sprechen von Umweltabgaben, von den Lenkungsabgaben. Der wichtigste Punkt, der uns unterscheidet, ist sicher das Lohnniveau. Ich gehe davon aus, dass das ein bedeutender Faktor ist – wenn ich da etwa an die Textilbranche denke, wo es von der hochwertigen bis zur Billigst-Industrie alles gibt, da muss man sich über die Qualität und die besonderen Fähigkeiten, die man hat, differenzieren. Hier bin ich nicht Experte! Aber es gibt Produkte, die das exemplarisch schaffen. Und ich glaube, jene, die das nicht schaffen, wären schon jetzt nicht mehr im Markt. Zweitens: Wenn es spezifisch um Klimaabgaben geht, so fanden wir immer, dass es bei Exporten und Importen zu Ländern, die sich überhaupt nicht in Richtung Erfüllung Pariser Klimaziele aufmachen, Grenzzuschläge oder -abschläge braucht – also ein so genanntes Border Tax Adjustment. Dass man etwa eine Umweltabgabe, welche in China nicht bezahlt werden muss, beim Import auf den Preis schlägt und umgekehrt beim Export wegnimmt, das ist ein Vorstoss, den wir in den Nationalrat einbrachten. Das ist etwas, das im Kontext mit der Europäischen Union realpolitische Erfolgschancen hat, denn es ist ein Element, das auch im Green Deal der EU geprüft wird. Wenn die EU das einführte und wir uns auf gleicher Höhe anschliessen könnten, hätte es mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch Bestand, etwa vor einer WTO. Wer allerdings jetzt seine Betriebskalkulation macht, darf in den nächsten zwei Jahren noch nicht damit zu rechnen. Umgekehrt kommen in dieser Frist auch keine massiv höhere Lenkungsabgaben im Klimabereich.

Stichwort «Biogas». Welches sind die nächsten möglichen Entwicklungsschritte? Wo sehen Sie Potenzial?

Wir haben in unserem Klimaplan auch einen Teil, wo wir fordern, beim Biogas vorwärts zu machen. Denn es macht Sinn, alle organischen Abfälle – etwa auch jene, die bei Bauernhöfen anfallen – zu Biogas machen. Sonst geht das in die Luft, ohne dass daraus Energie entstanden wäre. Da muss man auch schauen, dass es finanziell umsetzbar ist, so dass Bauern vom Landwirt auch noch zum Energiewirt werden können. Wo wir jedoch skeptischer sind, ist bei der Frage der Verwendung. Wir sehen Gas nicht unbedingt als Übergangstechnologie, sondern die grosse Aufgabe von Gas ist dort zu finden, wo man sonst keine Möglichkeit hat, mit nicht-fossilen Alternativen zu arbeiten. Es ist schade, den hohen Energiewert von Gas einfach zum Heizen zu verwenden, wennschon müsste man Biogas für die Wärmekraft-Koppelung verwenden und dies in zentralisierten Anlagen, nicht etwa in Power-Loops mit Tausenden kleiner Heizungen. Power-Loop kritisieren wir, da es da keine Möglichkeit gibt, das CO2 effizient abzuscheiden. Wennschon wäre Verstromen unter dem Strich attraktiver, auch im Kontext, dass man mit Power-to-Gas Solarstromüberschüsse vom Sommer in den Winter hinüberretten kann.

In Ihrer Rede an der Ukraine-Demo in Bern sprachen Sie vom «neuen Haus Europa», ein Begriff, den ich vor allem aus Deutschland kenne. Was verstehen Sie darunter?

Den Begriff vom gemeinsamen Haus Europa hat – geschichtlich – meine ich Gorbatschow in die Diskussion eingebracht. Er wurde von den Deutschen danach übernommen, im Kontext mit der deutschen Wiedervereinigung und der Auflösung der Sowjetunion, und dann als gemeinsame Friedensarchitektur in der OSZE vorangetrieben, in der Nachfolge zum Helsinki-Komitee. Das ist das, worauf ich anspielen wollte. Europa hört nicht an der Grenze der EU auf, jetzt nicht im kolonialen Sinne gedacht, sondern im Sinne einer gemeinsamen Friedensordnung, an der man ein gemeinsames Interesse haben muss.

Zweitens haben wir als GRÜNE uns dafür eingesetzt, dass auch die Schweiz sich innerhalb der EU nicht einfach in einem falsch verstandenen Souveränismus abkapselt, sondern dass man hier mindestens eine Zukunft der Bilateralen ermöglicht. Wir kritisieren in diesem Punkt den Bundesrat sehr scharf, weil er ohne Konzept beim institutionellen Rahmenabkommen die Tür zugeschlagen hat und keinen Plan B hat. Das ist auch eine allgemeine Kritik am Bundesrat, dass dort von strategischer Führung recht wenig zu spüren ist. Man sieht das aktuell in der Ukraine-Krise, wo die zuerst vier Tage brauchen, um sich zu überlegen: Was heisst es bei den Sanktionen, dass die Schweiz neutral ist? Wir GRÜNEN haben keinen Zugriff auf die Ressourcen des Nachrichtendienstes, wir haben auch keine Stäbe und Departemente, die das analysieren könnten, und haben trotzdem bereits am Dienstag vor dem Einmarsch gefordert, weshalb es aus unserer Sicht Sanktionen braucht und dass dies mit der Neutralität vereinbar ist. Man kann das auch anders sehen, aber dass man am Donnerstag nach so einem Einmarsch eine improvisierte Bundesratssitzung machen muss, welche in der desaströsesten Pressekonferenz der neueren Zeit endet, ist für mich wirklich auch ein Führungsmangel. Nicht nur im Hinblick auf das Resultat! Sondern dass man gar nicht fähig ist, dann zu entscheiden. Ich habe das Gefühl, auch bei der Klimawende ist es so, dass der Bundesrat nicht strategisch unterwegs ist. Auch in der Coronakrise wurde – obwohl vieles auch gut lief – zuweilen der Vox populi hinterherregiert. Aber Gouverner c’est prevoir – also Regieren heisst vorausschauen, in Szenarien denken. Je höher man in einer Organisation steht, umso mehr muss man weiterschauen in die übernächste Geländekammer. Strategisches Denken  ist derzeit nicht gerade die Stärke des Gesamtbundesrates.

Derzeit bedroht der Wolf die Herden der Glarner Landwirte, zwei Drittel unserer Landwirtschaftsfläche sind Alpen, die sich nicht mit zumutbarem Aufwand schützen lassen. Was raten Sie ihnen? Wie sollen sie vorgehen, um in Bern gehört zu werden?

Die Wolfsdiskussion war zum Teil auch ein Stellvertreter-Konflikt. Ich denke schon, dass es Herdenschutzmassnahmen braucht. Die sind jedoch teuer – es braucht entsprechende finanzielle Mittel. Diese haben die Landwirte oftmals nicht. Für mich ist klar:Artenschutz hat auch einen Preis und diesen Preis soll nicht der Bauer zahlen. Wenn ich zurückschaue, ging es ja um das Jagdgesetz. Alle sprachen vom Wolf, aber da war viel anderes drin. Ein wesentlicher Teil, weshalb wir Grünen das Nein zum Jagdgesetz unterstützten, war, dass man vom Ursprungsgedanken – beim Wolf den Schutz etwas aufzuweichen – abwich und daraus ein eigentliches Abschussgesetz machte, weit über den Wolf hinaus. Dazu haben wir dann aus Überzeugung Nein gesagt. Wir versuchten – auch im Ständerat – einen Kompromiss zu finden. Der ursprüngliche Vorschlag wäre für uns eine Diskussionsgrundlage gewesen, doch danach haben sich beide Seiten in die Schützengräben zurückgezogen.

Die Glarner Bauern haben sich zusammengetan… das stimmt, es kann nicht sein, dass die Bauern hier die Zeche bezahlen…

 Das ist dasselbe wie jetzt bei der Klimawende. Bildung zahlt der Staat auf den verschiedenen Ebenen, Strassen werden vom Staat bezahlt, ein Teil des ÖV wird aus Steuermitteln finanziert, auch das Gesundheitswesen, doch der Klimaschutz und die biologische Vielfalt sollen dann quasi Privataufgabe sein. Das kann doch nicht sein! Das ist der Kern unserer Initiative Klimafonds für den Green New Deal. Wir sagen nicht, man muss die aktuellen Lenkungsabgaben abschaffen. Und es braucht weiterhin auch Regulierungen. Doch zusätzlich braucht es gesellschaftliche Investitionen in diesen Wandel. Das müssen nicht unbedingt Subventionen sein, es können auch Kredite sein. Denn sehr oft sind nicht-fossile Alternativen zwar in der Investition teurer, doch über die gesamte Lebensdauer unter dem Strich günstiger. In so einem Fall braucht man auch nicht zu subventionieren, doch hier muss man jenen, die das Geld nicht auf der hohen Kante haben, einen Kredit gewähren oder eine Bürgschaft für eine Hypothek zu günstigen Bedingungen. Hier muss man flexibel sein. Aber Umweltschutz, Klimaschutz und Artenvielfalt sind Aufgaben von uns allen, da kann man die ganze Last nicht auf einzelne abschieben, so wie man die Last auch beim Wolf nicht auf die Bauern schieben kann.

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