Frauenporträt Franziska Stengele - Das Recht auf spezifische Pflege

Franziska Stengele – Kinderspitex und Wanderleiterin. (Foto/Video: FJ)

Sie ist Kinderkrankenschwester und lebt mit ihrem Mann und den beiden Töchtern (15 und bald 17 Jahre) in Nidfurn. Die 46-jährige Franziska Stengele ist seit zwei Jahren als ambulante Kinderkrankenpflege – also Kinderspitex – selbstständig und träumt davon, einmal in einem Drittweltland zu arbeiten.

Geboren und aufgewachsen ist Franziska Stengele in Elsau bei Winterthur. «Ich kam durch meine Arbeit ins Glarnerland – nach der Ausbildung am Kinderspital St. Gallen trat ich eine Stelle auf der Kinderabteilung im Kantonsspital Glarus an. Das war sehr gut, ich bin kein Stadtmensch und Kinderspitäler sind meist in grossen Städten. Dann habe ich meinen Mann kennengelernt und bin hier geblieben.» Das war Anfang der 2000er-Jahre. Es folgte die Arbeit als Mutter und Familienfrau – obwohl sie auch während dieser Zeit Pflegeaufgaben übernahm –, jetzt werden die Töchter selbstständiger und auch Stengele hat sich selbstständig gemacht: als ambulante Kinderkrankenpflegerin.

Kinderspitex
Wie sie dazu kam? Die Kinderabteilung am Spital wurde aufgelöst. «Ich lernte damals eine Familie mit einem schwerkranken Kind kennen, welche Unterstützung brauchte. Aus meiner Arbeit kannte ich noch die Stiftung Joël Kinderspitex, ich meldete mich dort als Pflegende und beschrieb die Situation der Familie. Die Stiftung stellte mich an und ich übernahm die Betreuung dieses Kindes. Dadurch bekam ich vermehrt Anfragen. Gleichzeitig gab es hier eine Bewegung, welche sich dafür einsetzte, damit Kinder fachspezifisch betreut werden. Daraus entstand ein Pool mit spezialisierten Pflegefachfrauen. Dort konnten die Spitexvereine nachfragen, wenn sie eine Pflege-Anfrage für Kinder hatten – zum Beispiel, wenn es um eine Betreuung ging, die den Rahmen der gewöhnlichen Spitexarbeit sprengte.» Da Glarus ein kleiner Kanton ist, sind solche Fälle eher selten – es sind etwa 15 Kinder im Jahr.

Intensive Einsätze
«Es sind aber Kinder, die teilweise über Jahre betreut werden müssen, und zeitlich aufwändige Einsätze, teilweise zwei bis drei Stunden am Tag.» Die Fälle werden gravierender, weil heute viele Neugeborene operiert werden können, die vor 30 Jahren noch nicht überlebt hätten. Kinder mit neurologischer Störung oder Herzfehlern. «Das Kind lebt mit Magensonde und an Apparaturen.» Doch was sind die Unterschiede zur «normalen» Spitex? «Es gibt zwar einige pflegetechnische Verrichtungen, welche sich normale Spitex-Mitarbeitende nicht zutrauen, etwa eine Magensonde bei Säugling oder kinderspezifische Katheter legen, das könnten sie aber lernen. Der grosse Unterschied ist die Art des Einsatzes. Die Kinderspitex geht in eine Familie und übernimmt die Betreuung eines Kindes über längere Zeit. Ein schwerkrankes Kind ist anders zu pflegen als ein schwerkranker Erwachsener, so wie psychiatrische und Alzheimer-Patienten anders gepflegt werden müssen. Auch ein schwerkrankes Kind hat das Recht, fachspezifisch betreut zu werden. Zudem war meine Ausbildung auf die Krankheiten der Kinder ausgerichtet.» Die Spitex dagegen legt den Schwerpunkt auf Erwachsene sowie speziell auf ältere Personen.

Koordination
Es war lange so und ist immer noch so, dass auch bei der Kinderpflege oft zuerst die örtlichen Spitexvereine angefragt werden. «Die machen, was sie können, oder fragen mich an. Vor zwei Jahren machte ich mich selbstständig und stellte mich bei der Koordination Gesundheit vor. Seither hat die KoGe auch direkt angefragt. Dasselbe gilt für die Kinderärzte im Kanton, die mich schon vorher kannten. Die Zusammenarbeit ist gut.» Doch ist das Angebot noch zu wenig bekannt. Manche Mütter wissen nicht, dass etwa die Medikamentengabe, für die sie eigens ins Kinderspital fahren, auch im Glarnerland möglich wäre.

Vielfalt der Aufgabe
«Mein Arbeitstag? Morgens gehe ich zu einem Säugling, der einen Herzfehler hat und auf die Operation wartet. Ich instruiere seine Mama, begleite sie, gebe ihr Sicherheit. Während ich das Kind wickle, es anziehe, ihm zu essen gebe – das Kind ist sehr schwach – hat die Mama Luft, um mal einen Kaffee zu trinken oder sonst etwas zu tun. Dann gehe ich weiter zu einem Kurzeinsatz, wo die Eltern alles selbst machen. Ich kontrolliere, ob genügend Spritzen, Infusionsbesteck und Verbände da sind, sonst muss ich das bestellen. Mittags koche ich – meine Tochter kommt zum Essen. Nachmittags habe ich oft frei oder ich gehe nochmals zu einem Einsatz, wo ich das Kind überwache, die Mutter berate, oder mit dem Kind raus an die frische Luft gehe. Das ist grundsätzlich etwas, was keine Krankenkasse bezahlt. Doch gilt zu bedenken: Diese Kinder sind zum Beispiel auf Sauerstoff angewiesen, daher kann ein gewöhnlicher Babysitter mit ihnen nicht rausgehen.» Als Selbstständige fühlt sich Stengele gut bezahlt. «Die Tarife sind in Ordnung. Im normalen Spitexbereich dagegen ist der Lohn oft sehr niedrig. Doch für mich stimmen Leistung und Ertrag, ich habe allerdings grosses Glück, meine Familie ist nicht abhängig von meinem Verdienst. Aber ich arbeite gern, es ist mein Beruf.»

Wanderleiterin
Franziska Stengele ist gerne draussen und sportlich unterwegs. «Ich mache auch Einsätze mit dem Velo, gehe oft zBerg, spielte Klarinette, womit ich wieder anfangen möchte. Vor ein paar Jahren bin ich wieder in den SAC eingetreten und bin seither unterwegs mit der SAC-Frauengruppe. Ich machte den Wanderleiterinnenkurs und habe begonnen, Wanderungen für Frauen zu leiten.» Im Sommer ist die Familie jeweils zwei Wochen weg. «Oft in der Schweiz oder in Deutschland, wo wir ein Ferienhaus mieten. Zudem haben wir ein Häuschen im Bächital.» Ihr Wunsch für die Zukunft? «Mein Leben so zu gestalten, dass ich mit weniger zufrieden sein kann. Mein Jugendwunsch ist ein Spital-Einsatz im Drittweltland, in Afrika, Nepal, Indien. Es ist ein Ziel für die Zukunft, von dem ich nicht weiss, ob es in Erfüllung geht – ein Traum. Für die Gesellschaft wünsche ich mir mehr Gelassenheit und den Blick für die Schönheiten der kleinen Dinge. Nicht auf den Stau schauen, sondern auf den Sonnenaufgang.»

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