Ein Theater von und für Glarner:innen

„Rächti Liebi chunnt vo Härze
rächti Liebi, di brännet heiss
Oh, wie wohl isch’s einem Mensche
wo nid weiss, was Liebi heisst…“
(Aus: Stets in Truure)

«Stets in Truure»: Jenes Glarner Volkslied, das auf einen unbekannten Verfasser des 19. Jahrhunderts zurückgeht und zunächst nur mündlich überliefert wurde, entwickelte sich zum wahren Hit: Das deutsche Volksliederarchiv erwähnt es mit einem hochdeutschen Text als wichtige traditionelle Volksweise, die Popkultur hat es mit der „Rumpelstilz“-Version Polo Hofers zum schweizweiten Comeback geführt. Das eländ schüüne Herzschmerz-Lied ist nicht der einzige Glarner Exportschlager: Zu seiner Entstehungszeit liefen im Glarner Hinterland Stoffe anderer Art im grossen Stil vom Stapel; es war die Blütezeit der Textilindustrie.

Sie brachte das traditionelle soziale Gefüge im Kanton Glarus in Bewegung, prägte Biografien von Generationen. Jung und Alt, Fabrikarbeiter:innen und Patrons, Ein- und Auswanderer, Paare und Alleinstehende: alle auf der Suche nach ihrem Platz, nach innerer und äusserer Heimat, nach Liebe. Episoden aus dem Leben der Menschen von damals und heute haben Glarner:innen für Glarner:innen zu einem ungewöhnlichen Theaterstück geformt. „Stets in Truure“ entstand im Auftrag der Kulturgesellschaft Glarus aus Anlass ihres 100-Jahr-Jubiläums und eröffnet im Juni 2021 das offizielle Festjahr.

Die Glarner Compagnie Bruderboot (Beni und Christian Hunziker) schuf es in kreativer Zusammenarbeit mit den je vierköpfigen Teams von Schauspieler:innen, welche verschiedene Bevölkerungsgruppen repräsentieren. Als Ausgangspunkt für die Entwicklung der Szenen diente eigens recherchiertes Material wie Briefe, Protokolle, Tagebucheinträge aus dem Archiv der Tuchfabrik Hefti Hätzingen AG. Die stillgelegten Produktionshallen werden zur Bühne einer Zeitreise vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Die realen Kulissen – hier Webstühle von früher, dort Mietflächen für Wohnmobile – spielen auch mit. Das Publikum durchschreitet während des Stücks Gänge, Räume und Innenhöfe des Hefti-Areals, begleitet von Musik und der Projektion historischer Filmausschnitte auf Tuchbahnen. Ein Firmenfest der 1950-er Jahre oder ein Betriebsausflug der 500-köpfigen Belegschaft nach Lugano klingen etwa an, aber auch Spotlights auf die Einführung des Zwölfstunden-Arbeitstags im 19. Jahrhundert. Und in den 1980-er Jahren der Niedergang mit massiven Entlassungen.

„Und was soll das jetzt werden?“ Mit dieser Streitfrage eröffnen im alten Speisesaal die beiden Hauptdarsteller Herr und Frau Schamauch die Rahmenhandlung. Während er dem Publikum Einblicke in die Firmenhistorie geben will, möchte seine schwangere Frau lieber Geschichten erzählen. Später wird klar: Sie stecken selber mitten im Geschehen. Im Verlauf des Abends ergeben sich immer wieder überraschende Wendungen, welche die „Fäden“ der – anfangs vermeintlich durch Zeit und Raum getrennten – Lebenswelten verknüpfen, Stereotypen auflösen und staunen lassen.

Bis sich nach 90 Minuten alle Schauspieler mit dem Publikum zur Schluss-Szene verbinden, hat es Anteil genommen an den so verschiedenen Schicksalen, welche dennoch eines eint: Wer liebt, der muss oft leiden – sei wegen einer aussichtlosen, „unstandesgemässen“ Liebe, einer schalen Langzeitbeziehung wo man sich nichts mehr zu sagen hat, einer erst wilden Verliebtheit, die in gegenseitigem Unverständnis endet. Oder an tiefen Brüchen in einer von Flucht und Verlust geprägten Biografie. Menschen aller Zeiten und Kulturen teilen die Erfahrung von Liebesnot und -sehnsucht; dies schafft im besten Fall Solidarität. „Stets in Truure“: Das alte Glarner Volkslied, vom Männerchor Hätzingen-Luchsingen als Refrain zwischen den Szenen vortragen, wird so wieder höchst gegenwärtig – und hallt nach.

Hinweis:
Das Theater findet bei jeder Witterung statt, etwa die Hälfte des Stückes spielt draussen, teils überdacht. Eine entsprechende Bekleidung ist zu empfehlen.
Das Publikum bewegt sich im Verlaufe des Stücks durch das Areal. Dabei werden ca. 600 Meter und einige Treppenstufen zu Fuss zurückgelegt; an allen Aufenthaltsorten gibt es Sitzplätze.
Gehbehinderte Personen bitte vorgängig melden bei Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein..

Aufgrund des kleinen Ticketkontingents ist die Veranstaltungen leider ausverkauft.  Vielen Dank für Ihr Verständnis.

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