Am Sonntag in den Ring

Ratsschreiber Hansjörg Dürst weiss, was an der Landsgemeinde erlaubt ist und wie sie funktioniert. (Foto/Video: Fridolin Jakober)

Wenn Glarnerinnen und Glarner ab 16 Jahren über ihre politische Zukunft bestimmen, tun sie das an der Landsgemeinde unter freiem Himmel, im Dialog und für alle sicht- und hörbar. Das klappt seit Jahrhunderten ohne nennenswerte Probleme, unter anderem auch darum, weil alle die Gesetze und – auch ungeschriebenen – Regeln respektieren.

Hansjörg Dürst weiss genau, was in den Diskussionen erlaubt ist und wie die Abstimmungen geregelt sind. Seit 1997 sitzt er als Ratsschreiber neben dem Landammann auf dem Podest mitten im Landsgemeindering. Am kommenden Sonntag das letzte Mal. Er geht in seinen verdienten Ruhestand. Hansjörg Dürst hat dem FRIDOLIN Fragen zur Landsgemeinde beantwortet. Darunter auch Fragen, die, wenn sie ehrlich sind, selbst stimmberechtigte Einwohnerinnen und Einwohner nicht immer beantworten können. Dürsts Antworten helfen auch Zuzügerinnen und jenen, die den Ring zum ersten Mal betreten.

FRIDOLIN: Was bedeutet für dich die Landsgemeinde?
Hansjörg Dürst: Die Landsgemeinde ist der wichtigste und höchste politische Anlass und Feiertag des Kantons. Es ist für mich eine Freude und Ehre, diese mitgestalten zu dürfen.

Welche Funktion hat der Ratsschreiber an der Landsgemeinde?
Wir sind quasi das rechtliche Gewissen der Landsgemeinde. Nebst der Organisation des ganzen Drumherums, Rahmenprogramms und der Betreuung der Ehrengäste haben Ratsschreiber und Ratsschreiber-Stellvertreter an der Lands­gemeinde selbst die Aufgabe, Anträge auf ihre Rechtmässigkeit zu prüfen. Zudem skizziere ich einen Vorschlag für die Durchführung der Abstimmungen, wenn mehrere Anträge vorliegen, und diskutiere das mit dem Landammann.

Wieso soll ich an der Landsgemeinde teilnehmen?
Weil die Glarner Stimmbürgerinnen und Stimmbürger das Privileg haben, kantonale Vorlagen unmittelbar und direkt an der Landsgemeinde zu diskutieren und darüber unmittelbar zu mindern und zu mehren. Darüber hinaus hat jeder Stimmberechtigte das verfassungsmässige Recht, zu den Sachvorlagen Anträge auf Unterstützung, Abänderung, Ablehnung, Verschiebung oder Rückweisung zu stellen.

Um welche Zeit muss man auf dem Ring sein? Vor dem Einmarsch, vor der Begrüssung durch den Landammann? Oder erst bei den spannenden Traktanden?
Wenn man seinen bevorzugten Platz ergattern will, empfiehlt es sich, bereits vor dem Einmarsch im Ring zu sein, spätestens jedoch zu Beginn der Eröffnungsrede. Wir erwarten eigentlich, dass man nicht nur bei spannenden Themen im Ring ist.

Wo darf ich im Ring stehen, respektive sitzen?
Eigentlich überall, ausser bei den reservierten und bezeichneten Sitzplätzen. Bei Gästen mit Zutrittskarten erwarten wir, dass sie sich hinter dem offiziellen Gästesektor und dem Landrat platzieren.

Gibt es einen Dresscode?
Früher erschien man festlich zur Landsgemeinde, heute ist Casual aber völlig in Ordnung. Die Mitglieder des Regierungsrates tragen Cut, Stresemann und Zylinder, die Frau Regierungsrat ein dunkles Kleid. Bei den Ehrengästen erwarten wir dunkle Bekleidung, beim Militär Ausgangsanzug, die hohen kantonalen Behördenmitglieder tragen in der Regel auch einen dunklen Anzug.

Findet die Landsgemeinde bei jedem Wetter statt?
Grundsätzlich ja, Regen allein ist kein Verschiebungsgrund.

Was braucht es, bis eine Landsgemeinde verschoben wird?
Es braucht eine Sturm- oder Schneewarnung, verbunden mit kalten (Minus-)Temperaturen – eine Landsgemeinde wie 2019 wird so nicht mehr stattfinden. (Anmerkung der Redaktion: Am 5. Mai 2019 lag auf dem Landsgemeindeplatz Schnee und es war kalt und nass.)

Wie und wann erfahre ich, wenn die Landsgemeinde nicht stattfindet?
Der Entscheid über die Abhaltung der Landsgemeinde ist am Morgen des 7. Mai über RegioInfo Tel. 0900 1600 00 (Fr. 0.90 /Anruf und Min.) abrufbar und wird zudem auf der Webseite des Kantons Glarus publiziert. Auch wird dies in den Nachrichten von 07.00 und 08.00 Uhr vermeldet.

Darf ich den Ring (bei langweiligen Themen) verlassen und nur zu den Abstimmungen zurückkehren?
Ja, kein Problem, wenn man den Stimmrechtsausweis bei sich hat. Man verpasst dann aber eventuell eine interessante Diskussion und erschwert sich so die Meinungsbildung. Gibt es langweilige Themen … ?

Warum darf man nicht klatschen? Oder Buh rufen?
Eine Landsgemeinde ist eine politische Veranstaltung, die man in Anstand und Würde durchführt, und kein Fussballspiel oder Rockkonzert. Es geht auch darum, dass man eine sachliche politische Diskussion führt und die Meinung von Andersdenkenden respektiert.

Wer darf das Wort ergreifen, respektive aufs Podium reden gehen?
Jeder stimmberechtigte Landsgemein­de-Teilnehmende hat das Recht, das Wort zu ergreifen.

Darf ich auch als Neuling das Wort ergreifen? Oder muss ich mindestens eine Landsgemeinde wortlos miterlebt haben?
Ja, denn eine solche ungeschriebene Regel wie für Neu-Landrätinnen und -Landräte für den Landrat gibt es für die Landsgemeinde nicht.

Darf ich länger als 3 Minuten reden?
Ja, man darf – aber als Erfolgsrezept gilt eher: In der Kürze liegt die Würze!

Muss ich das 100-seitige Memorial lesen, um abstimmen zu können?
Es empfiehlt sich, das Memorial zu lesen, um sich eine fundierte Meinung bilden zu können. Wir stellen aber jedem Geschäft eine Zusammenfassung voran, die das Wesentliche enthält. Wir prüfen auch nicht nach, ob jemand das Memorial ganz oder teilweise gelesen hat …

Wie bereite ich mich auf die Landsgemeinde vor?
Erstens, indem man sich das Memorial zu Gemüte führt, die Pressemeldungen, den Newsroom auf der Homepage des Kantons konsultiert oder abonniert und im Freundes- und Bekanntenkreis die Geschäfte diskutiert. Zweitens, indem man als Parteimitglied an die Parteiversammlung geht, wo die Geschäfte diskutiert und die Parolen gefasst werden und drittens, indem man zu guter Letzt zumindest den Stimmrechtsausweis mitnimmt, wo auf der Rückseite die Traktandenliste abgedruckt ist.

Weshalb wird jedes Traktandum vom zuständigen Regierungsrat abschliessend erklärt?
Das stimmt so nicht. Jedes Traktandum wird durch den Landammann einleitend kurz erläutert. Das abschliessende Votum des entsprechenden ­Regierungsratsmitglieds dient einzig dazu, die Haltung des Regierungsrates zu den gestellten Anträgen darzulegen.

Wie funktioniert es, wenn eine Abstimmung nicht klar ist?
Da gibt es klare Regeln: Erkennt der Landammann bei der ersten Abstimmung kein klares Mehr, fordert er alle Mitlandleute auf, sich zu erheben und stimmt nochmals ab. Erkennt er auch dann kein klares Mehr, bittet er die übrigen Mitglieder des Regierungsrates auf die Bühne, um ihn zu unterstützen. Dieser Entscheid ist dann endgültig.

Wie kann ich teilnehmen, wenn ich blind oder taub bin?
Für blinde und sehbehinderte Menschen steht das Memorial als Audio-Datei auf der Homepage des Kantons zur Verfügung und kann heruntergeladen werden. Diese Menschen können so normal an der Landsgemeinde teilnehmen und das Geschehen mitverfolgen. Taube Menschen sind auf fremde Hilfe angewiesen. Wir haben 2011 und 2012 Gebärdensprache-Dolmetscher und -Dolmetscher engagiert, dieses Angebot aber in Absprache mit ihrer Vertretung mangels genügender Nachfrage wieder auslaufen lassen.

Wohin bringe ich mein Kind, wenn ich auf dem Ring abstimmen will?
Am Tag der Landsgemeinde wird von 09.00 Uhr bis zum Ende der Landsgemeinde ein Kinderhütedienst im Kindergarten Erlen in Glarus (für Kinder aus Glarus Süd) und im Kindergarten Löwen in Glarus (für Kinder aus Glarus Nord und Glarus) angeboten.

Muss ich nach der Landsgemeinde Chalberwurst essen?
Im Prinzip ja, es kann aber auch Glarner Netzbraten sein! Es wird jedoch niemand verhaftet, wenn sie oder er die Chalberwurst nicht so gerne hat und etwas anderes isst.

Wo wirst Du nächstes Jahr an Deiner ersten Landsgemeinde als alt Ratsschreiber sitzen?
Das ist offen, wahrscheinlich in der zweiten Reihe bei den alt Regierungsrätinnen und -räten, aber sicher ohne Cut und Zylinder.

Der FRIDOLIN bedankt sich bei Hansjörg Dürst für sein Engagement für das Glarnerland und wünscht ihm eine erlebnisreiche Zukunft mit vielen interessanten Diskussionen. 

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