Frauenporträt Eva Oertli - Hartes weich machen

Bildhauerin Eva Oertli ist für mehr Frauen in der Kunstwelt. Für ihr Statement dazu Fridolin+ App downloaden und Foto scannen. (Foto/Video: FJ)

Seit vier Jahrzehnten ist Eva Oertli als Bildhauerin tätig. Gerade hat sie den Glarner Kulturpreis bekommen, die höchste kulturelle Auszeichnung im Kanton. Der FRIDOLIN besuchte die Preisträgerin in ihrem Steinreich in Ennenda und fragte nach Widerständen und Frauennetzwerken im Beruf der Künstlerin.

Es ist die Frage der Fragen in der Kunst, auch heute noch: Wie lassen sich mit Kunstwerken Brötli verdienen? Selbst bei Eva Oertli, welche im öffentlichen Raum – vom Tierfehd bis nach Niederurnen – mit zahlreichen Werken vertreten ist. Als selbstständige Bildhauerin muss sie akquirieren, ausführen, abrechnen, eine Buchhaltung führen; die Zeit für ihr Kunstschaffen muss sie sich aufwendig verdienen. «Das ist teilweise ein aufreibender Spagat», sagt sie, «ich dachte manchmal, es wäre einfacher, einen Brötlijob zu haben. Eine Anstellung mit einem 50-Prozent-Job und daneben für mich zu arbeiten.»

Bildhauerin in der vierten Generation
Doch weshalb ist die Ennendanerin Bildhauerin geworden; und das mit 17 Jahren? «Ich bin zwischen Steinen aufgewachsen – und jetzt Bildhauerin in vierter Generation. Mein Urgrossvater baute in Ennenda das Haus mit der Werkstatt, und wie er führte auch mein Grossvater eine Bildhauerei und ein Renovationsgeschäft. Mein Vater war der erste, der sich auch künstlerisch betätigte.» Ursprünglich wollte Eva Zeichnungslehrerin werden, ein Brotberuf, etwas Solides. Aber sie war schulmüde, und sie wollte «etwas mit den Händen machen». So suchte sie eine Lehrstelle als Bildhauerin. Doch damals wollte kein Bildhauer in der Schweiz eine Frau als Bildhauerin in die Lehre nehmen. «Deshalb lernte ich das Handwerk bei meinem Vater, obwohl er sich gegen meine Berufswahl gestellt hatte.» Es war eine gute Wahl, wie Eva heute erzählt: «Ich lernte all die alten Techniken, zum Beispiel wie man schwere Steine mit wenigen Hilfsmitteln in Position bringt.» Und sie lernte, wie man die Meissel in der Esse glüht und härtet. Wissen, das heute verloren geht, das aber zum Beruf gehöre, wie sie erklärt.

In ihrem neusten Werkskatalog «In Stein gehauen, mit Erde geformt» sind einige ihrer ersten Arbeiten abgebildet, Arbeiten, die sie während der Lehre erschaffen hat. «In der Lehre hatte ich viele Freiheiten. Und für mich war immer klar, dass ich freischaffend sein wollte. Mein Vater hat mich dabei unterstützt.» Klar habe es auch Reibereien zwischen ihr und ihrem Vater gegeben, erzählt Eva. «Dann bin ich auch mal abgehauen, packte das Täschli und fuhr nach Zürich.» Der Schritt an die Kunstakademie in München war dann «nur logisch», wie sie sagt. Die Lehre, die sie erfolgreich abschloss, sei eine gute handwerkliche Vorbereitung gewesen.»

Sich in der Männerwelt behaupten
In München studierten etwa gleich viele Frauen und Männer. Das war bei der täglichen Arbeit auf den Baustellen nicht so, als Frau galt sie als Exotin. Deswegen musste sie zuweilen sehr bestimmt auftreten. Zum Beispiel 1991 als sie für ihre erste Wettbewerbsarbeit die Steine auswählen und beschaffen musste. Sie wollte Veltliner Granit und fuhr mit ihrem Vater dorthin. «Ich hatte mich für einen kleinen Steinbruch entschieden, einen sehr sympathischen Familienbetrieb. Als ich den Stein bestellte, glaubten mir die Mitarbeiter nicht, deshalb lieferten sie den Stein nicht. Sie waren sich nicht gewöhnt, dass es Frauen gibt, die Steine behauen. «Beim zweiten Besuch blieben wir vor Ort, bis sie mir die Blöcke gespalten hatten», erzählt sie.

Als ihre Eltern nach Italien zogen, bewohnte und führte sie die Bildhauerei als Kollektiv zusammen mit dem Bildhauer Daniel Ledergerber. Druck, die Bildhauerei vom Vater zu übernehmen, empfand sie nicht. Hatte sie nie mit dem Gedanken gespielt, in eine Kunstmetropole auszuwandern? «Früher schon, denn nach Ennenda kommt keiner. Heute nicht mehr. So einen Arbeitsplatz wie hier finde ich nirgends.» Zentral gelegen, in der Industriezone, wo Lärm und Emissionen kein Problem sind. Hier hat sie viel Freiraum, der ihr so wichtig ist.

«Bildhauerei ist etwas Komplettes. Ich stelle nicht nur ein einzelnes Teil her, ich stelle alles selbst her von Anfang bis zum Ende.» Oertli arbeitet mit Granit, Schiefer, Alabaster, Basalt und sogar mit dem schwierigen einheimischen «Rotrisi», dem Verrucano oder Sernifit. Ein anderes Material stand nie im Vordergrund, denn so lange sie die Steine mit ihren Händen bearbeiten könne, bleibe sie dabei. «Stein ist ein langsames Medium und ein widerspenstiges Material. Das treibt mich an, es zu brechen und zu formen.» Manchmal arbeitet sie mit Lehm, als Ausgleich für die Hände, wie sie sagt. So erschafft sie mit ihren Händen tonnenschwere aber auch filigrane Figuren. Sehr oft erinnern sie an organische, natürlich gewachsene Formen. Damit hat sie ihren eigenen Stil geschaffen. Was auch die Kulturkommission anerkennt: «Mit Standfestigkeit und Beharrlichkeit geht Eva Oertli ihren Weg als Steinbildhauerin. Sie bleibt ihren künstlerischen Arbeiten seit Jahrzehnten treu und hat diese unbeirrt in ihrer eigenen Art stetig weiterentwickelt.» Auch darum bedeutet ihr der Kunstpreis viel: «Er motiviert mich, dranzubleiben.»

Das Netzwerk ist wichtig
Ale Bildhauerin arbeitet Eva oft alleine in ihrer Werkstatt. Um als Kunstschaffende Beachtung zu finden ist sie auf Ausstellungen angewiesen. Und damit auch auf die Arbeit von anderen: Galeriebesitzerinnen und -besitzer, Autoren und Verlegerinnen für Kataloge oder auch Männer und Frauen, welche die schweren Objekte von einem Ort zum andern transportieren.

«Deshalb sind Netzwerke wichtig,» erklärt sie und zeigt den Katalog von FATart, der Femme Artist Table. Dieser Schweizer Kunstverein setzt sich seit 2016 für eine gleichberechtigte Inklusion von Frauen in der Kunstwelt ein. Oertli konnte bei dessen Kunstmesse «Women in arts» im Kammgarn Schaffhausen ausstellen.

Hilfreich ist auch, dass sie in Ennenda ihre eigene Werkstatt hat, mit einem Garten. Sozusagen eine private Galerie. Dort kann man zwischen Bäumen und Sträuchern einige von ihren Werken entdecken: Erdnüssli, Früchtchen, Triebe und Rotkäppchen, diese roten, schlanken Stelen, die selbstbewusst in den Himmel wachsen. «Der Garten ist immer offen», sagt Eva. Mit einem kleinen Schritt über die kniehohe Absperrung steht man mittendrin. Mitten in einer Welt, wo Schwere und Leichtigkeit eine neue Bedeutung bekommen.

Fredy Bühler/FJ

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