Frauenporträt Fränzi Tschudi - Es ist die Zeit, die fehlt

Fränzi Tschudi hat sich als Pflegefachfrau auf Palliative Care spezialisiert. (Foto/Video: FJ)

Sie ist 34 Jahre alt und hat sich als Pflegefachfrau FH auf Palliative Care spezialisiert. Im Vorfeld zum Welt-Hospiz- und Palliative Care-Tag vom 9. Oktober und zur Pflegeinitiative, über die am 28. November abgestimmt wird, sprach der FRIDOLIN mit Fränzi Tschudi. Sie trägt die Fachverantwortung in der Palliative-Care-Einheit des Kantonsspitals Glarus und ist gleichzeitig bei der Koordination Gesundheit für diesen Fachbereich zuständig.

 Dass Fränzi Tschudi als Pflegefachfrau mit Menschen, welche an einer chronischen Erkrankung leiden und lebensbedrohlich erkrankten Menschen arbeitet, hat auch mit Wendungen in ihrem Leben zu tun. Nach der Sek in Schwanden und der Fachmittelschule in Glarus wäre sie gerne Primarlehrerin geworden, scheiterte aber an der Mathematik. Doch sie hielt sich an ihre eigenen Berufswünsche – in ihrem Jugendalbum stehen da Primarlehrerin und Krankenschwester – und studierte an der ZHAW in Winterthur Pflegewissenschaften, bis sie das Heimweh 2014 zurück in die Glarner Berge brachte, ans Kantonsspital Glarus.

Strukturen schaffen
2016 schuf das Kantonsspital auf der medizinischen Abteilung eine Palliative-Care-Einheit, wo Fränzi Tschudi jetzt die Fachverantwortung trägt. Hier werden chronisch Kranke betreut und Menschen, die sterbenskrank sind. «Ich merkte schnell, dass mir das gefällt, weil man im interprofessionellen Team arbeitet. Da evaluieren verschiedene Berufsgruppen die Situation um einen Patienten – sinnbildlich legen sie einen schützenden Mantel um ihn und bilden für seine Pflege ein Netzwerk. Dazu gehören bei uns ein Seelsorger, eine Musiktherapeutin, der Sozialdienst sowie Ernährungsberatung, Physiotherapie, Ergotherapie der Arzt und die Pflegenden. Der Mensch wird nicht nur medizinisch beurteilt, sondern ganzheitlich, auch hinsichtlich seiner Ziele im Leben und seiner Lebensqualität.»

Spezielle Bedürfnisse
Natürlich werden viele Personen, die in Palliativen Settings sind, durch die normale Spitex gepflegt – seien es Menschen mit Herz- oder Lungenkrankheiten oder Krebskranke, welche zu Hause gepflegt werden. «Eine Herausforderung für die Spitex wird es dann, wenn die Klienten sehr symptombelastet sind. Da gibt es Notfallsituationen, wo es schnell eine ärztliche Verordnung braucht. In anderen Kantonen gibt es dafür mobile Palliative-Care-Dienste, unabhängig von der Spitex, welche komplexe Klienten betreuen. So etwas fehlt hier im Glarnerland.»

Nationaler Tag
Hauptziel der nationalen Palliative-Care-Strategie ist es – zusammen mit Pflegediensten, Spitälern und Heimen – schwerkranken Menschen, das können auch chronisch Kranke sein, und Sterbenden eine ihren Bedürfnissen angepasste Pflege zukommen zu lassen und damit ihre Lebensqualität zu verbessern. Doch wo sieht Fränzi Tschudi im bei der Arbeit Verbesserungspotenzial? «Grundsätzlich glaube ich, es ist die Zeit, die fehlt. Die Pflegenden sind am Rotieren, haben nicht die Zeit, sich hinzusetzen und zuzuhören. Wenn die Patienten Schmerzen haben, holt man ein Schmerzmedikament. Aber oft drücken sich Sinnfragen oder auch die Angst vor dem Tod in Schmerzen aus. Dann bringen wir zwar eine Tablette, aber das nützt nichts. Besser wäre es, sich die Zeit zu nehmen, hinsitzend zuhören. Das Problem ist, dass wir diese Zeit nicht mehr haben, um zu hören, was Sterbende beschäftigt. Oft – etwa abends oder in der Nacht – ist auch kein Seelsorger da, da bleibt nur die Pflegende und diese ist allein. Es ist also gut, wenn die Angehörigen da sind oder uns Freiwillige aus der Krankenbegleitgruppe unterstützen.»

Sterben akzeptieren
Häufig akzeptieren Sterbende und Angehörige den Tod erst relativ spät. «Es bleibt ihnen dann wenig Zeit, sich mit dem Gedanken ans Sterben anzufreunden. Obwohl sie Atemnot und grosse Schmerzen haben, steht oft immer noch die Hoffnung im Vordergrund, das Sterben hinauszuzögern. Hier sollte zum Beispiel bei Krebserkrankten die Onkologie früher die Palliative Care mit einbeziehen.» Die Verantwortung der Sterbenden sieht Fränzi Tschudi darin, sich frühzeitig mit dem Gedanken an den Tod zu befassen. Auch damit, wie es zu Hause gehen könnte oder ob das Heim die sicherere Option ist. «Oft können Patienten wegen der Angehörigen das Leben nicht loslassen, sie können nicht gehen. Da ist es an uns, sie zu unterstützen, ihnen zu sagen: es ist dein Leben, es ist dein Körper, es ist aber auch dein Leiden.»

Koordinationsaufgabe
Fränzi Tschudi arbeitet 80 Prozent im Kantonsspital und 20 Prozent bei der Koordination Gesundheit (KOGE) des Kantons, wo sie ein spezialisiertes Netzwerk aufbaut. Denn die KOGE bekommt viele Anfragen von Betroffenen und Angehörigen. Fränzi Tschudi analysiert die Lücken im Versorgungssystem und erarbeitet das Fortbildungskonzept für Fachpersonen. Doch wie kommt sie als junge Frau mit der Arbeit in der Palliative Care klar? «Eigentlich sehr gut. Das ist Teamarbeit und wenn das Team gut ist, so ist das kein Problem. Trotzdem ist es wichtig, abschalten zu können. Manchmal begleitet mich eine Situation, doch normalerweise denke ich nicht mehr dran, wenn ich aus dem Spital trete. Sterben und Tod ist Alltag, das wird auch nach Corona so bleiben.»

Verteilschlüssel erarbeiten
Was muss in den Pflegeberufen verbessert werden? «Der Lohn ist zwar immer Thema, aber schlimm ist für mich, dass wir die Aufgaben, welche unser Job beinhaltet, nicht mehr wahrnehmen können. Deshalb braucht es einen Schlüssel, der sagt, wieviele Patienten eine Pflegefachperson betreuen darf. Sonst sind wir im Dauerstress. Die Arbeitsbedingungen müssen verbessert werden, um so auch das Burnout-Risiko zu reduzieren. Es nützt nichts, wenn die Leute nach fünf Jahren abspringen.»

Und sonst?
Neben dem Beruf bleibt wenig Zeit für politisches Engagement. «Ich unterstütze alle Aktionen, wo es um einen besseren Status für die Pflegenden geht.» Zudem leitet sie beim TV Haslen das Geräteturnen, das ist ihre Form von Jugendarbeit. «Beim Klettern, Bergsteigen und auf Skitouren kann ich Energie tanken. Da ich oft und gerne allein unterwegs bin, kann ich dabei sehr gut abschalten.» Für sich selbst wünscht Fränzi Tschudi sich, «dass ich noch lange die Kraft habe, in der Pflege und direkt am Patientenbett zu arbeiten. Für die Pflegefachpersonen hoffe ich auch, dass sie ihren Job lange und mit Freude machen können. Denn sie haben ihn gelernt, weil sie ihn gerne machen. Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam etwas erreichen und dass die Palliative Care im Kanton so ausgebaut wird, dass auch Personen in komplexen Situationen zu Hause sterben können.»

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