Die grosse Landsgemeinde-Überraschung

Auf Kai Weibels Antrag: Energiegesetz verschärft. (Foto: FJ)

Im Sport und in der Jagd würde man bei einer Landsgemeinde mit 23 Traktanden von einer Parforceleistung sprechen. In der Glarner Politik liegt die Leistung bei der Frau Landammann und – auch ein bisschen – bei der Disziplin der Teilnehmenden. Das Resultat vom letzten Sonntag darf sich sehen lassen.

Fünf Stunden Debatte an der Sonne – es ist verständlich, dass sich da der eine oder die andere zwischendurch mal zurückzog. Um den Sonnenhut zu holen, ein Fläschchen Elmer Mineral zu trinken oder einfach mal kurz im Schatten abzukühlen. Selbst Bundesrätin Karin Keller-Sutter gönnte sich während der Mittagsstunden einmal eine Pause vom Sonnenbad. Doch obwohl die Traktandenliste lang und man zehn Minuten vor Schluss, also um 14.20 Uhr, noch bei Traktandum 16 war, so konnte die Landsgemeinde doch das abliefern, was von ihr erwartet wurde: politische Stabilität in unsicheren Corona-Zeiten. In den letzten 10 Minuten passierten der Freie Kantonsbeitrag über 1,6 Mio. Franken für den Entwässerungsstollen Braunwald – ein wichtiges Projekt für das Dorf hoch über dem Alltag –, das neue Gerichtsorganisationsgesetz und auch der 40-Millionen-Kredit für die Härtefallunterstützung während der Corona-Pandemie. Damit ist man jetzt wieder à jour mit den dringenden Geschäften. Die Biodiversität, die musikalische Bildung, das neue Brandschutzgesetz und auch das Kantonalbankgesetz konnte Frau Landammann Marianne Lienhard auf die Landsgemeinde 2022 verschieben, die hoffentlich bereits in acht Monaten wieder unter Normalbedingungen stattfinden kann.

Geführte Debatten

Dass die ersten 16 Traktanden Zeit brauchten, hängt damit zusammen, dass viele davon nach einer Diskussion verlangten. Gerade mal die Verwaltungsrechtpflege, das Geldspiel, der Zivilschutz und die Gesetzesanpassungen unter Traktandum 10, also Datenschutz, Strafprozessordung und Polizeigesetz, passierten ohne Wortmeldung. Zu den anderen acht Traktanden wurde die Debatte geführt und dies – trotz des knappen Zeitbudgets – mehr oder weniger abschliessend. Bei sieben von acht Geschäften folgte die Landsgemeinde schliesslich dem Landrat und dem Regierungsrat, einzig das Energiegesetz wurde deutlich verschärft, dafür sorgte die Klimabewegung.

Beim öffentlichen Verkehr wollte Landrat Markus Schnyder die ursprüngliche regierungsrätliche Bedingung wieder ins Gesetz aufnehmen, nämlich dass die ÖV-Erschliessung sich auch nach volks- und betriebswirtschaftlichen richten soll. Er unterlag ebenso wie Regula Keller und Rico Bertini, welche das Pflege- und Betreuungsgesetz in Artikel 11 respektive 18 anpassen wollen. Dieses neue Gesetz, das eben auch die Selbsthilfe und die Unterstützung von Bezugspersonen berücksichtigt, ist ein wichtiger Schritt zu einer zeitgemässen Gesundheitsversorgung. Es wurde denn auch mit grossem Mehr angenommen. Beim Freulerpalast stritt man über den Einbau eines Lifts in diesen prächtigen Barockbau. Ein Eingriff, der – so die Denkmalpfleger – nicht ohne Verlust an Bausubstanz zu tätigen gewesen wäre. Man hatte im Vorfeld vier Varianten geprüft, von denen keine zu überzeugen wusste. So werden Rollstuhlgänger auf einer Treppenraupe in den oberen Stock fahren, wenn sie das Museum besuchen. Ein weiterer Zankapfel war schon im Vorfeld die Abschaffung der Kirchensteuern für juristische Personen. Hier hängten sich die Vertreterinnen der Jungen FDP ins Zeug, mit dem Argument, dass eine juristische Person ja nicht zur Kirche gehen könne und also auch nicht von den Leistungen der Kirche profitiere. Remo Goethe, Barbara Fritschi-Neeracher und Rafalea Hug warfen sich in die Bresche, doch wurden sie schon aus der eigenen Generation geschickt gekontert. Sowohl Linus Hofmann wie auch Ivo Oertli argumentierten wortgewaltig, Sein Seitenhieb auf die Werbekampagne der Jungfreisinnigen, welche auf Plakaten behauptete, ein Metzger könne ja auch keine katholischen Bratwürste verkaufen, dürfte Oertli unsterblich machen: «Eine gesegnete Wurst», so Oertli, «schadet nie.» Der Souverän jedenfalls entschied sich, Kirchensteuern auch für juristische Personen beizubehalten. Bei der Änderung des Gesetzes über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel setzten sich Marlis Murer, auch namens der Grünen, und Barbara Fierz für die Beibehaltung der Wildruhezonen ein, die Landsgemeinde jedoch folgte der Lockerung, welche Landrat und Regierungsrat in dieses Gesetz eingebaut haben. Und auch die SP-Frauen Priska Grünenfelder und Sabine Steinmann konnten sich in Traktandum 16 nicht durchsetzen, mit der Forderung, die Krankenkassenprämien bei 10 Prozent des verfügbaren Einkommens zu deckeln.

Ausbau der Netstalerstrasse

Eine ganz enge Sache wurde der Entscheid zum Ausbau der Netstalerstrasse – Frau Landammann liess zweimal abstimmen. Thomas Blaser, Mollis, wie auch die grüne Landrätin Nadine Landolt Rüegg befürchteten Mehrverkehr durch diese Massnahme – Blaser in Mollis, Landolt Rüegg in Näfels. Beide forderten ein Konzept ein, bevor der Verpflichtungskredit über 7,8 Mio. Franken gesprochen werde. Thomas Kistler, Gemeindepräsident von Glarus Nord, sowie Kommissionspräsident Fridolin Staub verwiesen auf die Zustimmung zum Richtplan von 2018, welcher am Flugplatz einen Entwicklungsschwerpunkt vorsieht, welcher nun – über 1700 Meter ausgebaute Strasse – auch für Lastwagen und den öffentlichen Verkehr erreichbar werden soll. Staub sagte dazu mit Blick auf die seit 50 Jahren dauernde Diskussion: «Es gibt hier keine Optionen mehr, sondern nur noch unrealistische Visionen.» Und so folgte die Landsgemeinde schliesslich dem Antrag von Landrat und Regierung und sprach den Kredit.

Die grosse Überraschung

Bei den Richterwahlen ziehen neu Samuel Bisig aus Ennenda und Patrik Noser aus Oberurnen ins Verwaltungsgericht, Sonja Gazzoli und Renato Micheroli, beide aus Glarus, ziehen ins Kantonsgericht ein. Ruth Hefti, Braunwald, wird neue Oberrichterin, Colin Braun aus Netstal wird Verwaltungsgerichtspräsident – trotz Wahlkampf war das nicht die grosse Überraschung. Diese kam beim Energiegesetz und dank der Klimajugend, die für dieses Traktandum 8 ausgezeichnet mobilisiert hatte. Nach dem Entscheid zu diesem Monstertraktandum mit sage und schreibe sechs Änderungsanträgen wirkten Teile des Rings wie verlassen. Eine extra Kalberwurst – oder eine andere Belohnung – dürfen sich Kaj Weibel und Christian Marti von der Klimabewegung abholen. Weibel setzte sich mit dem Antrag durch, sowohl bei Neubauten zur Wohnnutzung wie auch beim Ersatz von Heizkesseln in Zukunft nur noch Heizungen einzubauen, welche kein zusätzliches CO2 erzeugen. Marti gelang es, eine Verschärfung in Artikel 3 – der die öffentlichen Gebäude betrifft – durchzubringen. Statt 80 Prozent Heizung ohne fossile Brennstoffe bis ins Jahr 2050, muss die öffentliche Hand bereits 2040 zu 90 Prozent ohne fossile Brennstoffe heizen. Keine Chance hatte dagegen Landrat Toni Gisler, welcher Artikel 14b ersatzlos streichen wollte und der darauf hinwies, dass eine Lenkung hier effektiver sei als ein Gesetzesartikel. Nicht durchsetzen konnte sich Jürg Rohrer mit dem Antrag, dass auch bei der Sanierung von bestehenden Bauten und Fassaden Photovoltaik installiert werden muss, und auch Severin Thomas Antrag, Beiträge unter 10000 Franken von der GEAK-Pflicht zu befreien bekam keine Mehrheit. Diese sind – so Susanne Elmer Feuz als Kommissionspräsidentin und Regierungsrat Kaspar Becker übereinstimmend – schon nach Bundesgesetz nicht GEAK-pflichtig. Wieviel durch die jetzt beschlossenen Gesetze dereinst der CO2-Ausstoss im Glarnerland sinken wird, das werden erst die kommenden Jahrzehnte zeigen. Wieviel sie die Hauseigentümer kosten werden, auch. Aber es handelt sich hier um einen tatsächlichen und direktdemokratischen Erfolg der Glarner Klimabewegung und es scheint, dass der Landrat in Zukunft mit dieser neuen politischen Kraft noch stärker rechnen muss, als er es bisher getan hat.

FJ

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