Mit KFOR im Kosovo: Rita Jossen

Rita Jossen – 2008 mit den KFOR im Kosovo, heute im Kantonsspital. (Foto: FJ)

Im Kantonsspital Glarus arbeitet sie als Pflegefachfrau in der Anästhesie. Doch 2008 nahm Rita Jossen als Unteroffizier in einem medizinischen Evakuationsteam MEDEVAC an der internationalen friedensfördernden Mission Kosovo Force (KFOR) im Kosovo teil. Mit dem FRIDOLIN sprach sie über Adrenalin und Disziplin.

Wer auch immer aus der Schweizer Armee in Krisengebiete geht – ob Uno-Wahlbeobachter, Militärpolizist, Swisscoy oder Militärbeobachter – muss im Ausbildungszentrum SWISSINT in Stans ins HEAT, also ins Hostile Environment Awareness Training, wo er oder sie lernt, wie man in feindlicher Umgebung überlebt. Hier unterrichtet Rita Jossen Erste Hilfe oder Kameradenhilfe – also wie man Infusionen legt oder einen Thorax entlastet. 2008 war sie eine der wenigen Schweizerinnen, die im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden mit den KFOR im Einsatz war. «Viele Offiziere machen das im Rahmen ihrer militärischen Karriere, aber ich war eine Quereinsteigerin mit einer zivilen Ausbildung.»

Von der Pike auf
«Ich war in einer Privatklinik in Luzern angestellt und arbeitete in der Narkose – da habe ich gut verdient, aber es fehlte mir Action. Da sah ich das Inserat der Armee und habe mich beworben. Ich musste wie ein Rekrut alles von der Pike auf lernen, vom NATO-Alphabet bis zum Umgang mit Offizieren. Ich lernte, wie man mit der Pistole schiesst, musste alle Ausdauerläufe mitmachen und mich in drei Monaten spezifisch für den achtmonatigen Einsatz im Kosovo vorbereiten.» Es gab auch theoretischen Unterricht, etwa über die Entstehung des Kosovo oder über den Islam. «Wir waren hauptsächlich für die Soldaten der KFOR zuständig, da das Gesundheitssystem im Kosovo nicht gut ausgebaut war, um diese – etwa nach einem Minenunfall – zu versorgen. Mit den Männern aus dem Kosovo kam es nie zu Problemen. Einmal kamen zwei junge Männer auf mich zu, ihr Freund sei von einer Schlange gebissen worden. Das hätte auch eine Falle sein können. Ich begleitete sie, aber zwei meiner Kollegen gingen voraus und ich war bewaffnet. Denn in einem Nachkriegsgebiet sind Eigenschutzmassnahmen wichtig.»

Gewöhnung an die Anspannung
Wie fühlte es sich in dieser angespannten Situation an? «Ich wurde wegen meiner medizinischen Ausbildung als Pflegefachfrau und Rettungssanitäterin von der Schweizer Armee an die Deutschen ausgeliehen und war im deutschen Camp mit etwa 1000 Soldaten. Da gab es alles; vom General bis zum Soldaten. Hier fühlte ich mich immer sicher. Speziell war: da wir Schweizer eine Miliz sind, durfte ich das Camp mit Begleitung verlassen, um ins Schweizer Camp zu gehen. Die Deutschen mussten im Camp bleiben. Allerdings musste die Waffe teilentladen sein und ich musste Splitterschutzweste und Helm tragen. Schlimm war’s, als ich dann nach Hause kam: es war alles so banal hier. Man gewöhnt sich ans Adrenalin und wenn man zu Hause ist, ist plötzlich alles weg. Meine Kameraden sagen dasselbe.» Die Armee prüft aber jeden genau, damit er nicht zum Einsatzjunkie wird. Spätestens nach dem zweiten Einsatz ist jeweils für zwei Jahre Schluss.

Frau in einer Männerwelt

«Als ich 2008 zur Schweizer Armee ging, war eine Frau dort noch etwas Spezielles, heute gibt es mehr Frauen und sogar eine Armeechefin. Die Deutschen und Schweden hatten damals bereits viele Berufsarmeefrauen.» Probleme hatte Jossen keine. «Die MEDEVAC wird heilig gehalten, es ist im Einsatz wie jetzt in der Corona-Pandemie, medizinische Fachpersonen sind systemrelevant. Wir wurden also – etwa von den Piloten – auf Händen getragen.» Und wie brachte sie Kraft, Disziplin und militärische Ordnung auf? «Was ich im Kosovo tun musste, also Patienten betreuen, tue ich auch im Zivilleben. Disziplin brachte ich ebenfalls mit, denn die wird auch in der Medizin verlangt.» Und Kraft? «Kraft kann man trainieren.» Einmal, bei einem Luftrettungseinsatz, wo ein Team am Boden einen Verletzten betreute, täuschte sich einer in der zierlichen Jossen und herrschte sie an: «Hier geht das so wie ich das sage, mein Mädchen!» Jossen gab zurück: «Erstens bin ich kein Mädchen mehr, ich bin schon über vierzig. Zweitens: schauen sie auf meinen Rang und drittens: können wir jetzt diese Situation zusammen managen?» Kompetenz hat Vorrang: «Ich war nur ein Unteroffizier, aber sobald ich kam und zum Kopf des liegenden Patienten ging, hörten alle auf das, was ich sagte.»

Wichtiges Umfeld
Das Umfeld reagierte teilweise kritisch, aber überwiegend positiv auf ihren Entscheid für den Einsatz. «Damals hatte ich keinen Partner, das machte es einfacher, sonst hätte ich mich nicht beworben. Meine Mamma fragte zwar: Ist das nicht gefährlich? Und mein Vater sagte: Ich war heilfroh, das Militärzeug abzugeben und du gehst da – mit über vierzig – freiwillig hin. Sie liessen mich aber gehen, unterstützten mich – obwohl auch bei mir unterschwellig Angst da war. Meine Freundinnen reagierten unterschiedlich – einige begeistert, andere kritisch.» Angeboten hatte man ihr einen Job als Chief Nurse, aber sie wollte als MEDEVAC zur Luftrettung. «Als Chief Nurse hätte ich im Büro arbeiten müssen. Ich bin aber ausgebildete Rettungssanitäterin und so wurde ich in die Luftrettung genommen und musste mit einem bayrischen Bergführer einen Abseilkurs machen. Der hielt mich für schwach, aber ich bin eine berggängige Walliserin. Nach dem Testlauf sagte er: I hätt di eher in a Ballettensemble getan, aber laufen kannst.»

Optionen anschauen

Ob sie einen solchen Einsatz anderen Frauen empfiehlt? «Auf jeden Fall, es ist spannend und öffnet Horizonte. Mein Tipp: gelassen bleiben und seine Optionen anschauen. In sich gehen, Stärken und Schwächen anschauen und sich fragen: wie kann ich Schwächen kompensieren, wo habe ich meine Ressourcen?» Damit können selbst schwierige Situationen bewältigt werden. Damals, nach der Unabhängigkeit des Kosovo, war es schon kritisch, heute nach 13 Jahren, habe sich vieles eingependelt. «Der Einsatz ist heute weniger brisant, aber immer noch interessant.» Aber man dürfe es auch nicht unterschätzen. «Der Islamismus hatte das Ziel, von Österreich und vom Maghreb her nach Europa vorzudringen. Da empfehle ich allen, die Geschichte des Osmanischen Reiches zu studieren, damit man diese Bewegungen besser versteht.» Zwar hat ein MEDEVAC-Team nicht die Kompetenz, politisch zu wirken, aber «Wissen hat nie geschadet, auch wenn ich nichts ändern kann, gibt es mir einen gewissen Weitblick.»

Neues Zeitalter
Was es braucht ist Lernbegier und Aufmerksamkeit, und im Gegensatz zu ehrenamtlichen Einsätzen werden Einsätze bei der Armee bezahlt. «Man bekommt den Lohn aus dem Zivilleben plus Gefahrenzulagen. So machten bei uns auch Ärzte mit.» Lohngleichheit von Mann und Frau für Jossen: «Eine Selbstverständlichkeit. Ich finde es abstrus, wie man auf die Idee kommen kann, gleich qualifizierte Männer und Frauen unterschiedlich zu bezahlen. Heute ist das ein akutes Thema, aber damals hat mich das überhaupt nicht interessiert. Ich war per se schon in der höheren Lohnklasse, wegen meiner vielen Ausbildungen. Dass ein Arzt mehr verdient, war klar, dass ein Transportsoldat weniger verdient auch.» Für mehr Frauen in Führungspositionen brauche es wohl mehr Zeit. Dass Frauen besser sein müssen, um Erfolg zu haben, als Männer, habe sich in der Medizin inzwischen ausgeglichen. «Aber im Militär hat das erst begonnen und in der Wirtschaft wird es – bei gleichem Tempo – noch 50 Jahre dauern, bis Gleichstellung da ist. Das ist ein langer Weg. In der Politik sind wir weiter.» Aber Jossen ist überzeugt: das Thema der Ungleichheit muss gelöst werden, denn die Menschen stehen hier vor einem neuen Zeitalter. Videostatement

Fredy Bühler/FJ

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