Die Landsgemeinde ist eine feierliche und staatspolitisch wichtige Veranstaltung. Doch sie ist alles andere als trocken. Begeisterung, Freude, Gastfreundschaft und ein paar Sprüche gehören dazu.
Um 09.00 Uhr stellen sich viele an den Strassenrand, um gute Sicht auf den Einzug zu bekommen, erklären Gästen stolz, wie die Landsgemeinde funktioniert. «Kommt der Regierungsrat im Feuerwehrauto?», fragt hoffnungsvoll ein Mädchen. Um 09.30 Uhr der feierliche Einzug: Im 2/4-Takt-Landsgemeindeschritt betreten Militär, Harmoniemusik, Landrat, Regierungsrat und Gäste den Ring. Landammann Kaspar Becker fordert in seiner Rede (siehe Seite 10 dieser Ausgabe) dazu auf, zusammenzustehen, um der Polarisierung entgegenzuwirken und würdigt den scheidenden Andrea Bettiga, der Applaus für 17 Jahre Arbeit im Regierungsrat bekommt. Es folgen Wahlen, Vereidigungen, der Steuerfuss.
SeTeG, Gratis-ÖV, autofrei
Mit der Finanzierung der Behinderten-Institutionen kommt Spannung auf – der Behindertenlift tritt in Aktion. Luca Bischofberger, erblindet und auf den Rollstuhl angewiesen, erläutert, das neue Gesetz zur Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen (SeTeG) bringe für ihn mehr Freiheit, aber auch mehr Verantwortung. Victoria Romeo Martín Hefti will namens glarnersteg, Fridlihuus, Teen Challenge und Menzihuus, den Kanton zu Investitionen in die Infrastruktur verpflichten. Sonst entstehe für diese Betriebe Rechtsunsicherheit. Regierungsrätin Marianne Lienhard legt glaubhaft dar, der Kanton bleibe auch in Sachen Infrastruktur ein verlässlicher Partner. So wird das neue SeTeG unverändert verabschiedet.
Der Gratis-ÖV an die Landsgemeinde sollte mit dem Sparpaket der Regierung gestrichen werden. Beim Gesetz über die politischen Rechte behält ihn die Landsgemeinde bei, der Stimmrechtsausweis gilt als TICKET. Fast glatt passiert das revidierte Gesetz über den öffentlichen Verkehr mit Halbstundentakt und Erschliessung Hüttenberg, Heinz Hürzelers «Skytrain»- Hängebahn-Antrag ist zwar innovativ und erheiternd, aber nicht zulässig. Drei Jahre nach dem Auftrag für «autofreie Sonntage im Klöntal» befindet die Landsgemeinde über die Verordnung mit drei Sonntagen und Sperrung von 07.00 bis 19.00 Uhr ab Riedern und Sackberg. Dass das Klöntal schon in der Allmeind beginnt, aber auch, dass nicht gesperrt werden soll, fällt durch. 2026 wird das Klöntal also am 28. Juni, 26. Juli und 30. August autofrei.
Bildung ja, Gutschriften nein
Gleich elf Redner/-innen melden sich zu Nils Landolts Memorialsantrag, der Bildungsgutschriften will. Inspiriert von einer Begegnung mit Pädagoge Remo Largo fordert er «eine Schule, die für alle Kinder passt.» Die hehre Idee will Privatschulen mit Steuergeldern mitfinanzieren, indem sie die Eltern mittels Gutschrift entlastet. Wie schon Landrat und Regierung sieht die Gegnerschaft im Antrag eine Bedrohung der Volksschule, befürwortende Stimmen unterstreichen dagegen die Not gemobbter Kinder. Das Verdikt nach gut 40 Minuten pädagogischer Belehrung ist ein glasklares Nein. Beim Gesetz über Schule und Bildung bekämpft Roman Zehnder die neuen, mit auswärtigen Experten besetzten Bildungskommissionen. Alt-Gemeindepräsident Thomas Kistler weist auf die überlasteten Schulkommissionen hin und befürwortet eben jene Bildungskommissionen, die fachlich den Gemeinderat unterstützen. Dem folgt die Landsgemeinde.
Zielgerade
Mittlerweile ist es 13.15 Uhr, das überraschend gute Wetter schlägt um. Da haben es die fünf anspruchsvollen Änderungsanträge zur Neuordnung des Gemeinderechts schwer. Weder die Kompetenzen der Geschäftsprüfungskommission, noch die Wahl von Gemeindeparlamenten oder Festlegungszwänge finden Gnade beim Volk. Am schärfsten treffen die Argumente beim Ausländerstimmrecht aufeinander. Antragsstellerin Çimen Dağlı versucht, die Angst vor Demokratieverlust zu entkräften. Peter Rothlin befürchtet, dass EU-Bürger und andere Ausländer bald den Glarnern vorschreiben, was sie zu tun haben. Albert Heer als Kommissionspräsident redet mit haarfreiem Schädel gegen den Wind an, was den millimeterkurz frisierten Landammann zur heiteren Bemerkung verleitet: «Die Frisur hält noch.» – «Beim Landammann sieht es auch nicht anders aus», kontert Heer. Schallendes Lachen und Zustimmung zum Gemeinderecht. Ende um 14.00 Uhr. Ehrengast Bundesrat Albert Rösti zeigt sich beeindruckt von der Disziplin und Fairness der Landsgemeinde. Sie hat 53 Voten angehört, 17 Mal gemehrt und gemindert, drei Personen gewählt und acht Gesetze verabschiedet.
Søren Ehlers