Der Palmsonntag und die Karwoche stehen vor der Tür. Das Besondere der Heilsgeschichte ist die Verknüpfung von Weissagung und Erfüllung.
So werden Texte aus dem Alten Testament mit dem Palmsonntag gesehen: Der Prophet Sacharja schrieb: «Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. Gerecht ist er und Rettung wurde ihm zuteil, demütig ist er und reitet auf einem Esel, ja, auf einem jungen Esel, dem Jungen einer Eselin.» (Sach 9,9)
Diese Worte kündigen nicht einen irdischen König an, der in Pracht und Macht regiert, sondern einen gerechten und demütigen Herrscher. Indem Jesus auf einem Esel in die Stadt einzieht, zeigt er sich als dieser König, der nicht über Länder und Völker herrschen will, sondern über die Herzen der Menschen. Seine Macht liegt nicht in Waffen oder Reichtum, sondern in Liebe, Gerechtigkeit und Hingabe.
Auch Psalm 118 wird am Palmsonntag lebendig: «Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn!» (Ps 118,26). Dieses Jubelwort, das die Menge ruft, spiegelt die Hoffnung Israels wider, dass der Messias kommen möge, um Frieden und Heil zu bringen.
Der Einzug Jesu in Jerusalem
Das Evangelium nach Matthäus beschreibt die Szene eindrücklich: «Die Jünger gingen und taten, wie Jesus ihnen aufgetragen hatte. Sie brachten die Eselin und das Fohlen, legten ihre Kleider auf sie und er setzte sich darauf. Viele Menschen breiteten ihre Kleider auf dem Weg aus, andere schnitten Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Die Leute aber, die vor ihm hergingen und die ihm nachfolgten, riefen: Hosanna dem Sohn Davids! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe!» (Mt 21,6-9).
Die Palmzweige, die die Menschen schwenken, sind ein altes jüdisches Symbol für Sieg und Triumph. Doch im Kontext des Christentums erhalten sie eine tiefere Bedeutung: Sie werden auch mit den Märtyrern assoziiert, die im Glauben siegen, selbst wenn ihr irdisches Leben endet. Daher finden wir in Darstellungen von Märtyrern oft Palmzweige in ihren Händen – ein Hinweis auf den Himmel als letztendlichen Sieg.
Ein König der Herzen und der Armen
Jesus bricht mit den Erwartungen seiner Zeitgenossen. Sie hatten sich möglicherweise einen machtvollen Befreier erhofft, der die römische Besatzung abschütteln würde. Stattdessen zeigt Jesus, dass sein Königtum anders ist: Er ist der König der Herzen, der Armen und Einfachen. Sein Ritt auf einem Esel, einem bescheidenen Tier, betont diese Botschaft. Kein stolzer Reiter auf einem Kriegsross, sondern der demütige Erlöser, der Frieden bringt.
Sein Einzug ist nicht so sehr ein Moment des Triumphs, sondern eine Herausforderung: Wer erkennt in diesem bescheidenen Mann den wahren König? Wer ist bereit, ihm nicht nur zuzujubeln, sondern ihm zu folgen, auch wenn der Weg ins Leiden führt?
Vom Jubel zur Passion
Der Palmsonntag ist ein Tag der Gegensätze. Auf den ersten Blick scheint es ein Höhepunkt im Leben Jesu zu sein: Die Menschen jubeln ihm zu, breiten ihre Kleider auf dem Weg aus und rufen «Hosanna». Doch hinter dem Jubel verbirgt sich der Schatten des Leidens, der bald folgen wird. Denn die gleiche Menge, die heute «Hosanna» ruft, wird wenige Tage später rufen: «Kreuzige ihn!» Der Palmsonntag ist der Beginn der Passion Jesu, die in seinem Tod am Kreuz gipfelt. Der Jubel des Volkes weicht der Einsamkeit im Garten Gethsemane, dem Verrat, der Verurteilung und der Kreuzigung. Doch diese Hingabe, die völlige Selbstentäusserung am Karfreitag, ist nicht das Ende. Die Ereignisse der Karwoche zeigen, dass der wahre Triumph Jesu nicht in irdischer Macht liegt, sondern in seiner Auferstehung. Der Palmsonntag verweist bereits auf das, was kommen wird: das endgültige Überwinden von Tod und Sünde. Der Weg Jesu führt durch das Leiden, aber er endet im Licht der Ostersonne. Die Palmzweige, die am Palmsonntag geschwenkt werden, erinnern uns an diesen Sieg. Sie sind nicht nur ein Zeichen des Jubels, sondern auch ein Zeichen der Hingabe und des Glaubens, dass am Ende das Leben triumphiert. Die Märtyrer, die mit Palmzweigen dargestellt werden, stehen in dieser Tradition: Sie haben in ihrem Glauben gesiegt, so wie Christus im Glauben gesiegt hat.
Ein ganz anderer Herrscher als Herodes und Pilatus ist und bleibt Christus. Der Palmsonntag, ein «Hosanna», ein «Lobet Gott», für Zeit und Ewigkeit.
Markus Niggli, Diakon in Glarus