Als erste Frau wird Melanie Müller-Hösli die Harmoniemusik Näfels an der traditionellen Näfelser Fahrt anführen. Die Herausforderung nutzt sie, um ihre kreative Handschrift zu hinterlassen. Ihr Bestreben: Menschen mit Musik zusammenbringen. Ihr Talent: Ein Gehör, wie es nicht viele haben.
Glarus-Näfels. 07.15 Uhr. Der Prozessions-Zug läuft los. Melanie Müller hat auf der Karte alle wichtigen Punkte eingezeichnet: wo sich das Minenwerfer-Unglück ereignete, wo die Prozession von Süden auf die vom Norden trifft, wo die Kanzel auf dem Fahrtsplatz stehen wird. Sie ist die neue Dirigentin der Harmoniemusik Näfels und die erste Frau, die die Musik durch die Fahrt führt. Als sie im Sommer 2024 kurzfristig als Zwischenlösung das Amt übernahm, dachte sie noch nicht an die Näfelser Fahrt. Mittlerweile ist sie fix als Dirigentin angestellt. Als der Anlass näherkam, lief sie mit zwei Mitgliedern der Harmoniemusik Näfels den ganzen Weg ab. Sie übernimmt die Kommandos und koordiniert damit die Tambouren und die Blasmusik. Eine herausfordernde Aufgabe, alles muss sitzen, die Partitur verinnerlicht sein.
Takt für Takt
«Es werden so viele Eindrücke auf mich prallen – wenn ich von jedem Takt weiss, wer was spielt, werde ich mich nicht verlieren.» Was nach viel Arbeit klingt, ist für Müller absolute Passion. Und die Näfelser Fahrt ist eben mehr als nur ein traditionelles Ereignis – sie hat auch einen historischen Stellenwert. Nach Angaben des Bundesamts für Kultur gilt sie als die «älteste noch regelmässig begangene Staatsfeier in der Schweiz.» Die Schlacht bei Näfels ereignete sich 1388 und der Fahrtsbrief von 1426 gibt der Feier ihre historische Bedeutung.
Regeln, kontrollieren, korrigieren
Melanie Müller, 34, Dirigentin, Innenarchitektin und Mutter, wuchs in Schwanden in einer Musikerfamilie auf. Ihre ersten musikalischen Erinnerungen seien Weihnachten, an denen ihr Vater mit dem Götti auf Saxofon und Querflöte für Stimmung sorgten. Selbst lernte sie nach der Klarinette ebenfalls Saxofon, ohne gross üben zu müssen. Mit 13 Jahren begann sie Bläserkurse des Kantonalverbandes zu absolvieren; aus Neugierde, aber auch aus Unterforderung. Darauf folgten die Dirigentenkurse. «Als Dirigentin habe ich die musikalische Führung. Ich kann alles regeln, kontrollieren oder korrigieren, was mir gefällt. Doch das Herz der Harmoniemusik sind die Musizierenden, mit ihnen lebt die Musik», erzählt Müller. Um das Orchester besser zu verstehen, lernte sie nach und nach die weiteren In-strumente. Auf jede Probe bereitet sie sich akribisch vor, spielt jede Option durch, alles im Kopf.
Klar die beste Vorstellung
Ein Musiklehrer aus Schübelbach zeigte ihr, wo die Welt der Musik hinführen könnte, und bereitete sie auf das Konservatorium im Vorarlberg vor. Was Melanie Müller im Studium ablieferte, zeigt die Bewertung einer Dirigierprüfung. Unter der Note 5,8 steht: «Sie haben schon eine sehr ausgefeilte Dirigiertechnik und (…) drückten ihre musikalischen Emotionen beeindruckend aus. Das war die klar beste dirigiertechnische Vorstellung!». Dabei kommt ihr ihr grösstes Talent zugute, ihr Gehör: «An einem Ton kann ich hören, ob jemand glücklich oder traurig ist.» Sie erkennt selbst den kleinsten falschen Ton, ob zu hoch oder zu tief. Nebst den technischen Fertigkeiten lernte sie von einem Dozenten, dass Dirigieren eine Mischung aus Kunst und Wissenschaft sei. Für Müller wurde das Dirigieren zur «Balance zwischen Kontrolle und Freiheit. Musik als universelles Werkzeug verbindet und ermöglicht den Austausch von Gedanken und Emotionen.»
Hauptsache gestalten
Sechs Jahre lang arbeitete Melanie Müller vollberuflich als Dirigentin und Musiklehrerin in Glarus, St. Gallen und Graubünden, unterrichtete bis zu 30 Kinder und Erwachsene pro Woche und begleitete zahlreiche Projekte im In- und Ausland. Um im Alltag eine Balance für ihre Familie zu finden, kehrte sie zu ihrem ersten Beruf als Zeichnerin zurück. Seit elf Jahren arbeitet sie bei der Wunderle AG in der Geschäftsleitung. Durch diese Tätigkeit liess sie sich zur Innenarchitektin ausbilden und konnte damit «das Zeichnen, das Technische und Gestalterische vereinen.»
Nächste Projekte: ESAF
Für Melanie Müller hat es keine spezielle Bedeutung, dass sie als erste Frau die Musik durch die Fahrt führt, «aber ich freue mich.» Ihr Highlight und ihre Errungenschaft: Zum ersten Mal werden die Tambouren und die Harmoniemusik gemeinsam ein Stück spielen; zum Abschluss vor dem Hotel Schwert. Das zeigt ihr Bestreben, weiterzukommen und Neues zu wagen. Danach geht es gleich weiter: Fürs ESAF möchte Melanie Müller möglichst viele Musiker aus den Musikvereinen Glarus Nord für eine gemeinsame Marschmusik vereinen. Doch zuerst die Fahrt. 07.15 Uhr ab Glarus.
Delia Landolt