Das Hohelied vom Zielkonflikt

Moritz Kühne erklärt seinen Ansatz für den Austausch zwischen Permakultur und Bevölkerung. (Foto: FJ)

Am Samstag, 8. März, tauschten sich Produzierende und Konsumierende über sozialgerechten Zugang zu regionalen Lebensmitteln aus. Die aufgezeigten Arbeitsbedingungen in Gesundheitsweisen und Landwirtschaft machten deutlich, dass ein Perspektivenwechsel hilft, bestehende Denkmuster zu hinterfragen.

Mehr Informationen über die Glarner Landwirtschaftspolitik hier:
https://files.rls-glarnerland.ch/RLS-GL_Zukunftsbilder.pdf

Ein Austausch bei Kaffee und Gipfeli – so präsentierte sich die Matinée zur Glarner Landwirtschaft, welche von Sabine Steinmann (SP Kanton Glarus) und Fritz Waldvogel (Glarner Bauernverband) sowie dem Forum GlarnerLandWirtSchaft (Marco Baltensweiler und Enrico Celio) organisiert war. Es ging darum, Produzierende und Konsumierende an einen Tisch zu bringen, gegenseitige Vorbehalte zu benennen und Ansätze zu entwickeln, wie die Arbeit besser wertgeschätzt wird, wie regional produziert und konsumiert werden kann, wie die soziale Sicherheit stabilisiert und die Kultur – wozu auch Landschafts- und Alppflege gehören – gestärkt wird. Im Spannungsfeld «Landwirtschaftsbetrieb und Ernährungswissenschaft» muss zwischen Pro­­­duzenten und Konsumenten wieder mehr relative Nähe entstehen, so Fritz Waldvogel, denn «der Konsument muss wissen, woher das Lebensmittel kommt.»

«Blähungen»
Marco Baltensweiler vom Forum GlarnerLandWirtSchaft wies in seinem Referat auf Formen der «Blähung» hin. Etwa bei den Weideställen, welche heute zu 40 Prozent leer stehen, während die modernen Freilaufställe immer grösser werden. 1905 gab es rund 2000 Glarner Landwirtschaftsbetriebe, heute noch 350. Gleichzeitig wächst die Betriebsgrösse. 2030 werden es noch 260 Betriebe sein, mit einer Durchschnittsgrösse, die auf 25 Hektar anwächst. Seit 1995 nahm die Arbeitsproduktivität im Landwirtschaftssektor um 50 Prozent zu, mit grösseren Maschinen und Ställen. Die Landwirtschaft der Zukunft soll die Nettoselbstversorgung beibehalten, gleichzeitig die Treibhausgase senken und die Produktivität nochmals um 50 Prozent steigern. Ein Zukunftsbild, welches im Glarnerland schlicht realitätsfremd sei.

Überbetrieblich oder übersektoriell?
Derzeit verfolgt die Forschung in der Landwirtschaft überbetriebliche Ansätze. Er jedoch finde, so Baltensweiler, man solle übersektorielle Ansätze verfolgen. «Mit den heutigen Arbeitskräften ist die nötige Pflege in der Landwirtschaft nicht mehr möglich, deshalb müssen andere Bevölkerungsgruppen mithelfen.» Für Sabine Steinmann sind sowohl Landwirte wie Pflegefachpersonen «Kümmerer», die sich um Menschen oder Tiere kümmern und dabei eine hohe Arbeitsbelastung in Kauf nehmen. «Es ist unsäglich, wenn man – wie etwa in der Wolfsdiskussion – nicht mehr miteinander spricht. Beziehungsabbruch geht in der Pflege nicht und es geht auch in der Landwirtschaft nicht.» Beide Berufe – so Steinmann – seien rund um die Uhr gefordert, um Grundversorgungsarbeit zu leisten. Bei beiden gebe es Zielkonflikte, in der Landwirtschaft zwischen Biodiversität und Produktion, in der Pflege beim Zeitdruck, der zum ethischen Dilemma führe. Ruth Horner, Ausbildungsverantwortliche in der Pflege, kennt die Landwirtschaft aus dem eigenen Familienbetrieb. Sie akzentuierte Steinmanns Ausführungen mit konkreten Beispielen. «In der Landwirtschaft ist die Hofübernahme nicht mehr überall gewährleistet, die Arbeitsanforderungen steigen und es braucht immer mehr Beschäftigte. In der Pflege bilde ich derzeit 23 Personen aus, doch nur fünf davon bleiben. Viele sagen: Das schaffe ich nicht mehr, es ist zu streng, sie laufen bereits in der Ausbildung am Limit.»

Agrarökologie
Fritz Waldvogel erklärte, woher der Druck in der Landwirtschaft kommt. «Alles muss grösser, besser, schneller sein – aber hier im Berggebiet haben wird die Grenze erreicht.» Im ersten Austausch waren das gegenseitige Misstrauen von Konsument und Produzent Thema, die Überregulierung, welche Fachkräfte kostet, die Zielkonflikte und die Aufblähung. Dann stellte Enrico Celio Leitideen aus der Regionalen Landwirtschaftlichen Strategie des Kantons für die kommenden Jahre vor. Das Glarnerland habe Pioniere in der Landwirtschaft und gelte als Vorzeigeregion bei der Bekämpfung des Klimawandels. «Da gibt es Zielkonflikte, doch die können gelöst werden.» Im Rahmen eines Ressourcenprojektes vom Bundesamt für Landwirtschaft werde ab 2025 die agrarökologische Transformation vorangetrieben. Mit dabei sind vier Glarner Betriebe, die sich mit rund 200 Konsumierenden austauschen wollen über Fragen wie «Was konsumierst du? Was schmeisst du weg?» Informationen auf agro-eco.ch sowie auf taste-the-future.ch.

Die Ideen sammeln
Zum Schluss wurden Ideen gesammelt über Begegnungsorte für Konsumierende und Produzierende, konkrete gemeinsame Projekte und zur Frage, wie der Zugang zu guten Lebensmitteln sozialgerecht gesichert werden kann. Vom Stadtglarner Permakulturgemüse in der «Ulme» über regionale Plattformen zur Mikrokommunikation bis zum gemeinsamen Ernten, zum Teilen auf dem Acker, zum Znünitisch beim Landwirt und zur Beteiligung von Konsumenten bei lokalen Produzenten gingen die Vorschläge an dieser produktiven Matinée, die weiterwirken soll.

FJ

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