Cindy Gehrig ist reformierte Pfarrerin und lebt an einem ungewöhnlichen Ort: im Kapuzinerkloster Rapperswil. Warum ihr Weg sie dorthin geführt hat und wie ihr Leben im Kapuzinerkloster aussieht, erzählte sie der FRIDOLIN-Redaktion.
Obwohl Cindy Gehrig nicht sonderlich kirchlich aufgewachsen ist, war der Glaube stets präsent in ihrem Leben. Sie ging in die Sonntagsschule und leitete später auch den dortigen Kindergottesdienst. Trotz Hinweisen des Pfarrers, dass sie ein Talent für den Pfarrberuf habe, sah sie das am Anfang noch nicht so, nahm diesen Hinweis aber dennoch mit. Denn eigentlich wollte sie Medizin studieren, ein Bereich, der sie lange faszinierte – auch heute noch. Als Jugendliche realisierte Gehrig schliesslich, dass sie Menschen von der Geburt bis zum Tod begleiten möchte und ihr Interesse für das Pfarramt flammte auf. Es sind die schwierigen Momente, die geteilt werden, aber auch das gemeinsame Feiern von Festen sowie der ganz normale Alltag, was sie an diesem Beruf fasziniert. Schon im Alter von 15 Jahren stand der Glaube bei Gehrig im Vordergrund und sie wusste, dass sie Theologie studieren möchte. So früh zu wissen, wo sie hinmöchte, und die Möglichkeit, darauf hinarbeiten zu können, empfindet Gehrig als Geschenk. Auch 20 Jahre später erlebt sie das Pfarramt noch als etwas sehr Erfüllendes.
Das Kloster öffnet sich
Kurz vor der Matura lernte Cindy Gehrig das Kapuzinerkloster in Rapperswil kennen und lebte dort eine Woche als Gast. Sie besuchte die Gottesdienste oder half freiwillig mit. Als dann vor einigen Jahren die Idee aufkam, das Kloster zu öffnen für Menschen, die franziskanisch interessiert, aber Laien sind, wurde Gehrig vom damaligen Klostervorsteher angefragt, an diesem Projekt teilzuhaben. Das Projekt wurde intensiv ausgearbeitet und mit verschiedenen Instanzen entwickelt. Nun ist Gehrig bereits seit drei Jahren im Kapuzinerkloster zu Hause. Dieses Projekt gibt es aktuell nur im Kapuzinerkloster Rapperswil. Das Kloster ist katholisch und Gehrig reformiert. Aber da die vertretenen Werte beider Ausrichtungen sehr kompatibel miteinander sind, fühlt Gehrig sich als reformierte Pfarrerin dort sehr wohl. Das Projekt wird weitergeführt, solange es für alle Beteiligten stimmt und Freude bereitet.
Leben im Kapuzinerkloster
Neben ihrem Beruf als Pfarrerin in Mönchaltdorf im Zürcher Oberland arbeitet und lebt Gehrig gemeinsam mit den Ordensbrüdern im Kapuzinerkloster Rapperswil. Dort begleitet sie Gäste, welche wochenweise im Kloster sind, teils mit Gesprächen, oder ist auch einfach nur gemeinsam mit ihnen da. Ihr Tagesablauf ist gleich wie jener der Brüder, wenn sie nicht auswärts als Pfarrerin tätig ist. Es gibt feste Essens-, Gebets- und auch Arbeitszeiten. Jeder hat ein bestimmtes Ämtli. So ist zum Beispiel einer der Ordensbrüder für die Pflege des Gartens verantwortlich. Das Leben im Kloster ist sehr gemeinschaftlich, auch mit den Gästen. Es gibt keinen spezifischen Gästebereich und einen Gemeinschaftsbereich, alles ist zusammen. Jeder Bewohner hat aber ein eigenes Zimmer als ganz privaten Bereich. Gehrig empfindet die Gemeinschaft als bereichernd und schätzt dieses Konzept von gemeinsamen Leben sehr. «Man lernt unheimlich viele Menschen und Lebensgeschichten kennen. Es ist inspirierend mit so vielen unterschiedlichen Menschen zusammen zu wohnen, deren Lebensgestaltung sehen zu dürfen und unterschiedliche Ansichten kennenzulernen.» Ausserdem empfindet Gehrig ihr reformiertes Profil durch ihr Leben im Kloster als noch geschärfter als vorher. Denn das Projekt ermöglicht es ihr, nicht konvertieren zu müssen. Es ist kein Entweder-oder, sondern die Möglichkeit, etwas miteinander verbinden zu können. Dabei wurde sie auch von der Landeskirche stark unterstützt, als sie ihren Wunsch äusserte, bei diesem Projekt mitzuwirken.
Stille
Da Cindy Gehrig in ihrem Alltag mit sehr vielen Menschen zusammen ist, verbringt sie ihre Freizeit gerne in der Stille. Sie ist viel in der Natur unterwegs und geht laufen, häufig allein. In ihren Ferien möchte Gehrig zur Ruhe kommen und hält sich viel in den Bergen auf. Aber auch das Gegenteil kann der Fall sein. So reist sie zum Beispiel gerne nach Wien und stattet dem dortigen Theater einen Besuch ab. Wenn Gehrig zu Hause ist, was häufig der Fall ist, betet sie ausserdem vier Mal täglich. Das Gebet holt sie aus dem Alltag heraus und sie ist in diesen Momenten ganz bei sich. Dann gibt es kein Telefon, das klingelt, keinen Termin, der wichtiger wäre, nichts, was sie in diesem Moment aus der Stille herausholt. «Es ist nicht immer einfach, etwas mitten in einer Erledigung liegen zu lassen und ins Gebet zu gehen. Manchmal gibt es durchaus die Verlockung, weiterzuarbeiten.» Aber sie hat diesen Lebensstil im Kloster gewählt und empfindet ihn als bereichernd: Das Gebet in der Gemeinschaft oder für sich und das Zusammensein mit den Menschen. Das Kapuzinerkloster als ein Ort, an dem sie so viel erfahren darf, wie sie es niemals erfahren würde, wenn sie alleine unterwegs wäre.
Juliane Bilges