In diesen letzten sonnigen Tagen des Jahres im hochwinterlichen Braunwald entführten uns die Bruuwalder Spiellüt unter Leitung von Ursi Kessler ins feucht-kalte, klassengeprägte England des späten 19. Jahrhunderts.
Hauptperson des Weihnachtstheaters hoch über dem Alltag war dieses Jahr die kleine Lady Emily, meisterhaft gespielt von Mona Vogel. Und Kenner der Weihnachtsklassiker vermuten jetzt zu Recht, dass sich das gekonnt vorgebrachte Stück eng anlehnt an Frances Hodgson Burnetts Buch aus dem Jahr 1886, das als «Der kleine Lord» in den vergangenen 90 Jahren dreimal verfilmt wurde und jeweils über die Festtage gerne ausgestrahlt wird. Unter der Regie von Ursi Kessler und Ueli Oester wandelte sich nicht nur der Lord, aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen bei seiner verwitweten Mutter (Jana Wirth) in Amerika, zur Lady, die das Erbe ihres verbitterten, gestrengen, aber adligen Grossvaters (Ueli Oester) antritt, auch der Anwalt und Vertraute des alten Earl of Dorincourt mutiert zur verständnisvollen, korrekten Mrs. Havsiham, was dem Auftritt der von Monika Müller ebenso routiniert wie pointiert in Szene gesetzten Hüterin des Gesetzes in keiner Weise schadet.
Das Tüpfelchen auf dem i
Wie immer zeigt Ursi Kessler Fingerspitzengefühl bei der Rollenbesetzung – ob es sich nun um Emilys Freund, den Schuhputzjungen Dick (Pirmin Schuler) handelt oder die klassenkämpferische Krämerin Mrs. Hobbs alias Regula Meier, die zusammen mit Dick das Wachsen ihres Schützlings von der Gassengöre zur Lady und die Bekehrung ihres mürrischen Grossvaters zum wohlwollenden Landherrn verfolgt: Jede auch noch so kleine Rolle scheint den Schauspielenden direkt auf den Leib geschrieben, bis hin zur Erbschleicherin Mrs. Wilder, gespielt von Jenny Müller, die der kleinen Lady ihren Titel streitig machen will.
Das Tüpfelchen auf dem i war diesmal die Livemusik, die nicht nur das Stück gefühlvoll untermalte, sondern auch situativ für den richtigen Ton sorgte, sei dies das Horn des die Gestade New Yorks verlassenden Dampfschiffes oder das Knarren einer sich öffnenden Truhe – Pfarrerin Manja Pietzcker sorgte mit Ehemann Frank und Sohn Vinzent gekonnt für den passenden Klang, am Rande der Bühne perfekt eingebunden in die Aufführung.
Erstmals auch hier: QR-Code
Die vier Aufführungen, zwei am Nachmittag und zwei am Abend, waren gut besucht bis ausgebucht, trotz des erstmaligen Reservierens per QR-Code, das vielleicht den einen oder andern von einem spontanen Besuch abgehalten haben mag. An den Abendvorstellungen servierten das Hotel Cristal und die Bruuwalder Spiellüt einen grosszügigen Pausen-Apéro in der gemütlich im Stile eines Kleintheaters eingerichteten Tödihalle, weitere Sponsoren auch «aus dem Tal» unterstützten grosszügig die Arbeit der Truppe, mit dem einfachen, aber gekonnt gestalteten Bühnenbild, mit Transporten, Hilfeleistungen und Zustupfen.
Es war, wie jedes Jahr, ein grossartiges Erlebnis, ein absolutes Muss zwischen den Festtagen für die begeisterten Besucher und eine Meisterleistung der Darbietenden, quer durch drei Generationen, die das Braunwalder Dorf- und Kulturleben immer wieder mit ihrer Kunst bereichern. Bleibt zu hoffen, dass wir auch nächste Weihnachten mit einer Aufführung rechnen können, trotz der ungewissen Zukunft der Tödihalle nach dem angekündigten Ende der Dorfschule Braunwald.
Alexander Stuber