Dr. iur. can., lic. theol., Pfarrer, Koordinator der Syro-Malabarischen Seelsorge in der Schweiz, Vikar in Näfels und priesterlicher Mitarbeiter in Egg – so steht es auf der Karte von Sebastian Thayyil. Doch wer ist der Inder, in dessen Gottesdiensten ich von Zeit zu Zeit aus dåer Bibel lese und die Fürbitten vortrage? Die Antworten skizzieren einen aussergewöhnlichen Menschen.
Fridolin: Sie feiern am 1. Januar Ihr 15-Jahr-Dienstjubiläum im Glarnerland. Wie sind Sie damals nach Näfels gekommen?
Sebastian Thayyil: Ich bin am 20. März 1951 in Indien als der jüngste Sohn der acht Kindern meiner Eltern geboren, im Dorf Chemmalamattam, im Bundestaat Kerala, ganz im Süden von Indien. Drei meiner Geschwister starben schon als Kleinkinder. Als ich mit 15 Jahren die Sekundarschule abgeschlossen hatte, trat ich ins Priesterseminar meines Bistums Palai ein, denn von Kindheit an wollte ich Priester werden. Die Begeisterung dafür gab mir mein Familienhintergrund mit sehr religiösen Grosseltern, Eltern, Geschwistern und geistlichen Berufungen zum Priestertum und Ordensleben.
In den zehn Jahren der Priesterausbildung schloss ich den Voruniversitätskurs Philosophie und das Theologiestudium ab und wurde am 21. Dezember 1975 – also vor 49 Jahren – zum Priester geweiht. Danach war ich Kaplan in zwei Pfarreien und führte meine theologische Weiterbildung im Masterstudium weiter. 1980 entsandte mich der Bischof nach Rom zur weiteren Ausbildung, wo ich in Kirchenrecht promovierte und zudem Jurisprudenz studierte. In Rom lernte ich Italienisch und Deutsch und arbeitete als Sommeraushilfe in Italien, der Schweiz und Deutschland, 1983 war ich Regensdorf ZH und Reichenburg, von wo aus ich einmal fürs Beichthören zu den Kapuzinern in Näfels kam.
1988 kehrte ich nach Indien zurück, wo ich für die nächsten 20 Jahre im Bischöflichen Ordinariat als Offizial, Archivar und Korrespondent für Deutsch und Italienisch wirkte. 2008 sollte ich auf Wunsch meines Bischofs einen Seelsorgedienst in der Schweiz übernehmen, ich kam in die Herz-Jesu-Pfarrei Wiedikon. Pfarrer Hans Mathis, damals Pfarrer in Glarus Süd und Dekan in Glarnerland, kannte ich schon von meiner Zeit als Sommeraushilfe in Regendorf ZH und wir waren über all die Jahre in Verbindung geblieben. Hans Mathis hat mich sogar mal in Indien besucht und er gab mir den Tipp nach Glarus Süd zu kommen, um mit ihm zusammenzuarbeiten. Davon war ich begeistert und so trat ich am 1. Januar 2010 meinen Dienst als Vikar an – zu 80 Prozent in Näfels und 20 Prozent in Glarus Süd.
Was bedeutet Ihnen das Fest der Heiligen Drei Könige, das die Kirche am 6. Januar feiert?
Es bedeutet mir viel, auch wegen meines liturgischen Hintergrundes. Denn ich gehöre zur Syro-Malabarischen Kirche, welche bei der Evangelisierung Indiens vom Apostel Thomas, dem zweifelnden Thomas, gegründet wurde. Es gibt verschiedene Familien von katholischen Kirchen: die Alexandrinische, Antiochenische, Armenische, Byzantinische, Chaldäische und die Römische oder Lateinische. Die Syro-Malabarische Kirche gehört zur chaldäischen Familie der katholischen Kirche. Der Römische Ritus oder die Römische Kirchenfamilie ist heute die grösste und umfasst mehr als 90 Prozent der Katholiken. Die orientalischen Kirchen, die einmal sehr zahlreich waren, wurden durch politische Verfolgungen und Schismen der morgenländischen Länder zerstört.
In den Kirchen des Ostens ist Drei Könige auch das grosse Fest der Erscheinung des Herrn. Sie feiern Epiphanie als das Fest, wo Jesus der Welt bekannt wurde. Es gibt Legenden, dass einer der drei Könige aus Indien stammte. Christen rund um die Welt feiern Epiphanie am 6. Januar, wobei das griechische «Epiphaneia» Erscheinung bedeutet. Die drei Weisen aus dem Morgenland, genannt Melchior, Caspar und Balthasar, folgten dem Stern nach Bethlehem. König Herodes, der sich von diesen drei Königen betrogen fühlte, liess darauf alle Knaben unter zwei Jahren aus der Umgebung von Bethlehem umbringen. Bei uns in Indien wird das alles am 6. Januar nachgespielt, zudem gibt es Familienbesuche der Sternsinger.
Normalerweise haben Priester einen Bischof, der ihnen vorgesetzt ist. Bei )hnen sind es gleich mehrere. Welche Bischöfe sind das? Und was ist Ihr jeweiliger Auftrag?
Jeder Priester ist geweiht, um unter einem Bischof oder Ordensoberen zu wirken. Ich bin diözesaner Priester des Bistums Palai in Indien. Der Bischof von Palai hat mich in die Schweiz gesendet zum Seelsorge-Dienst, in Vereinbarung mit dem Bischof von Chur, wo ich Dienst leiste. Er hat die kirchliche Zuständigkeit für mein Wirken als Seelsorger hier in der Schweiz. Also bin ich hier in der Schweiz ihm untergeordnet. Dann leiste ich Migranten-Seelsorge für die Syro-Malabaren in der Schweiz, das ist das Volk, zu dem ich gehöre. Als Pfarrer Koordinator der Syro-Malalabarischen Seelsorge bin ich von der Schweizerischen Bischofskonferenz angestellt. Ihr Präsident ist der Bischof von Basel, der Bischof von Sitten ist zuständig für die Migrantenseelsorge. Zu diesen beiden habe ich ebenfalls beruflichen Kontakt. Ausserdem gibt es in Rom einen vom Papst ernannten Apostolischen Visitator, welcher die Syro-Malabarische Seelsorge in Europa koordiniert – auch zu ihm stehe ich in Kontakt.
Wenn Sie Ihre Heimat Indien mit Näfels vergleichen: Was ist hier und dort ähnlich? Was sind die drei aus Ihrer Sicht grössten Unterschiede?
Indien und die Schweiz sind reich an Kultur. Indien als Land mit 1,3 Miliarden und vielen Religionen und Kulturen hat sehr grosse Verschiedenheit in Sprache, Kultur und Gewohnheiten. Es gibt 24 Hochsprachen wie Deutsch, Französisch und Italienisch und dazu hunderte von Dialekten. Im Norden gibt es Winter mit Schnee, im Süden liegen die Temperaturen das ganze Jahr über 20 Grad und erreichen 35 oder gar 40 Grad. Im Glauben sind 70 Prozent der Bevölkerung Hindus, 20 Prozent Muslime und die übrige 10 Prozent umfasst Christen, Sikhs und Buddhisten. Die sind sehr gläubig und die Kirche ist sehr lebendig.
Was war oder ist für Sie das Schwierigste am Leben in der Schweiz? Warum?
Für mich sind das das Schweizerdeutsch und die Winter mit Schnee. Aber jetzt habe ich mich gut daran angepasst.
Sie haben sich sehr jung fürs Priesteramt entschieden und arbeiten bald fünfzig Jahre lang im Weinberg des Herrn. Was ist für Sie das Schönste an der Berufung zum Geistlichen? Was sind Ihre liebsten Tätigkeiten und Momente?
Ich war sehr begeistert von den Pfarrherren, die im Dienst der Mitmenschen tätig waren. Meine Familie war und ist stark mit Priestern, Ordensleuten und der Pfarrei verbunden. Als Priester bin ich sehr froh, im Dienst der Mitmenschen zu stehen, geistlich und menschlich. Es macht mich selber und die Anderen sehr glücklich, Menschen in Liebe und Dienst füreinander zusammenzuhalten und die nötige Unterstützung dafür durch Gottes Gnade und persönlichen Begeisterung zu schenken. Brücken zwischen Menschen untereinander und zu Gott zu bauen, ist der Kern der Seelsorge. Daran habe ich Freude. Es bringt mich in engen Kontakt mit Gott und den Mitmenschen und macht mich sehr froh und zuversichtlich. Am 21. Dezember 2024 stand ich seit 49 Jahren in diesem gnadenreichen und glücklichen Priesteramt im Dienst der Freude der Mitmenschen. Im kommenden Dezember erreiche ich das goldene Priester-Jubiläum.
Sie haben in Rom in kanonischem Recht doktoriert. Wo beeinflusst das kanonische Recht uns normale Katholiken im religiösen Alltag besonders? Was müsste man vielleicht mit der Zeit revidieren?
Rechtswissenschaft soll den Menschen mit Ihren Rechten dienen. Man musst sich der eigenen Rechte und Pflichten bewusst werden. In der Kirche ist es unsere Aufgabe, die Gläubigen auf Rechte und Pflichten in der Kirche aufmerksam zu machen und ihnen dabei zu helfen. In Indien, als Offizial des Bistums, hatte ich viel damit zu tun, Ehepaaren in der Ehe mit ihren Problemen zu helfen, um die Streitigkeiten unter den Gläubigen nach den Rechtsvorschriften zu lösen und im Prozess der Selig- und Heiligsprechung der vorbildlichsten Gläubigen mitzuwirken. Hier in der Schweiz kann ich Menschen helfen: mit den Problemen der Ehe und in Fragen der Ehe-Vorbereitung.
Die wichtigste Grundlage der Gesellschaft ist die Familie, die auf der lebenslang festen Ehe steht. Das ist eines der wichtigsten Anliegen der Lehre Jesus zum Wohl des Ehepaares, der Kinder und der Gesellschaft. Die Familien, die in der verzeihenden Liebe und Opferbereitschaft füreinander einstehen, stellen die gute Ausbildung der Kinder und das Wohlwollen aller in Familie und Gesellschaft sicher. Meine Ausbildung in der Rechtswissenschaft hilft mir, in der Seelsorge Mitmenschen besser zu dienen. In der Kirche muss man überall die eigenen Pflichten und Rechte und die verschiedenen Stufen der kirchlichen Bereiche und Seelsorge als Ausrüstung für den besseren Dienst der Mitmenschen annehmen und einsetzen.
In der Schweiz sind Sie als Seelsorger auch für die Syro-Malabarische Kirche zuständig. Was ist das Besondere an dieser Teilkirche der Römisch-Katholischen Kirche?
Der Begriff syro-malabarisch ist eine Kombination aus den beiden Wörtern «syrisch» und «malabarisch». Der heutige indische Bundesstaat Kerala war früher und ist auch heute noch bekannt als Malabar. Die liturgische Sprache war die syrische in der östlichen Ausformung des Christentums, die klassische Form der aramäischen Sprache von Jesus. Seit 1962 wird statt des Syrischen die Landessprache Malayalam in der Liturgie gebraucht. Die bewusste und aktive Teilnahme der Gläubigen ist in der Liturgie der orientalischen Kirchen stark betont. Syro-Malabarische Gläubigen gibt es etwa seit einem halben Jahrhundert in der Schweiz. sie sind hauptsächlich als Fachleute im Gesundheitswesen tätig und haben sich in den Städten Zürich, Basel, Bern Olten, Genf und Bellinzona angesiedelt, insgesamt etwa 1000 Familien. Sie sind gut integriert in der kulturellen Gesellschaft der Schweiz und die meisten sind Schweizer Bürger. Aber sie wollen ihre religiösen Werte, die Familienwerte und die enge Verbundenheit und die gegenseitige Unterstützung der Familien festhalten. Sie haben Angst, dass die europäische Gesellschaft solche Werte verlieren könnte.
Als eine katholische Kirche mit eigener Liturgie, Spiritualität, Kirchenrecht, Theologie, Überlieferung, Hierarchie und eigenem Verwaltungsrecht unter dem Papst brauchen die Gläubigen Unterricht und Ausbildung als Mitglieder in ihrer orientalischen Tradition und ihren Werten. Am tiefen und lebendigen Glauben der Mutterkirche in Indien wollen sie festhalten und ihn an ihre Nachkommen weitergeben, um die Umgebung da, wo sie sich befinden, zu begeistern.
Der Wortgottesdienstteil der heiligen Eucharistie wird am Altar dem Volk zugewandt gefeiert. Wenn es um die Darbringung des Opfers geht, drehen sich die Priester zum Altar – der gewöhnlich nach Osten ausgerichtet ist. Theologisch gesehen bringt der Priester so zusammen mit den Gläubigen als betende Gemeinde das Opfer dar. Die Gebetsrichtung des Priesters ist die gleiche wie die der Gemeinde. Die Eucharistiefeier bringt insgesamt eLob, Ruhm, Ehre, Dank und Anbetung an den dreieinigen Gott dar und erinnert an Leben, Leiden, Tod, Begräbnis, Auferstehung, Himmelfahrt und Wiederkunft Christi, des Erlösers. Die Auferstehung und seine Wiederkunft werden sehr stark betont.
In der Schweiz gibt es viele Menschen, die sich für den Buddhismus und den Hinduismus interessieren. Was ist – aus Ihrer Sicht – dran an diesen Lehren und wo könnten wir Christen uns auch von diesen Religionen inspirieren lassen?
Wie das 2. VatikanischenKonzil betont, ist die Offenbarung Gottes teilweise erfahrbar in verschiedenen Religionen. Aber die sehr konkrete und endgültige Offenbarung Gottes ist in Jesus Christus, den wir Christen anerkennen als wahrer Gott und wahrer Mensch. Die Offenbarungen in den anderen Religionen und im Alten Testament prüfen wir durch die Lehre Jesu und begeistern uns für alles, was dazu beiträgt. Doch dies ist nie Ersatz für den echten Glauben und das Wissen Gottes durch Jesus Christus. Das müssen die Christen in der Schweiz und überall immer wahrnehmen.
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten an die Christen von Glarus Nord. Welche wären das?
Was kann ich den Christen von Glarus Nord und anderswo anderes wünschen als Glück, Freude und Frieden. Wenn wir Christen das haben, werden auch unsere Mitmenschen dazu kommen. Das ist unsere Berufung als Christen. Ich bin oft unterwegs. In Glarus Nord sagen mir viele, dass meine Freude ansteckt. Wenn wir Christen sind, nicht nur dem Namen nach, werden auch unsere Mitmenschen zum Weg des Glücks und zu Freude und Frieden durch uns kommen und es erreichen. Dazu wollen wir Christen, Alt und Jung, Verbundenheit mit Gott suchen, der unter uns immer gegenwärtig ist, vor allem durch die heilige Eucharistie, durch sein Wort, durch die Sakramente der Kirche und das Gebet. Ich bin als Christ und vor allem als Priester immer da, um Menschen dazu zu helfen.
FJ