Die Integrationsvorlehre INVOL bietet Personen aus dem Asyl- und Ausländerbereich die Möglichkeit, sich in verschiedenen Berufen auszubilden. Sie hilft, die Sprache zu lernen, Berufserfahrung zu sammeln und ist damit ein wichtiger Baustein für eine erfolgreiche Integration. Wie das funktioniert, hat Anzhelika Polovenko aus der Ukraine dem FRIDOLIN erzählt.
Deutsch ist nicht einfach zu erlernen. Das zeigt auch die aktuelle Pisa-Studie für Erwachsene: In der Schweiz haben mehr als eine Million Menschen eine Leseschwäche. Auch für die 19-jährige Anzhelika Polovenko aus der Ukraine ist Deutsch eine Herausforderung: «Es ist schwierig zu lernen», sagt sie mit leichtem Akzent.
Anzhelika Polovenko flüchtete vor drei Jahren zusammen mit ihrer Mutter, ihrem Vater, ihrer Grossmutter und ihrem Hund aus der Ukraine in die Schweiz. «Wir haben in Mykolajiw gewohnt.» Die Stadt hatte 400 000 Einwohner und liegt östlich von Odessa. Heute lebt Anzhelika Polovenko mit ihrer Familie in Mitlödi: «Hier gefällt es mir sehr gut, vor allem die Berge.» Vor ein paar Monaten hat sie die Integrationsvorlehre begonnen. «Ich arbeite drei Tage in der Woche in der Tierarztpraxis und gehe zwei Tage in Ziegelbrücke zur Schule.»
Erfolgsgeschichte
Das Praktikum in der Tierarztpraxis Landerer in Näfels ist für sie der erste Schritt zu ihrem Traumberuf Tierärztin. «Ich fühle mich gut, wenn ich mit Tieren arbeiten kann», erzählt sie. Das Praktikum dauert ein Jahr, danach kann sie die Lehre als Tiermedizinische Praxisassistentin beginnen. Die Integrationsvorlehre ersetzt den obligatorischen Schulabschluss, der in der Schweiz für eine Lehre erforderlich ist und der vielen ausländischen Personen fehlt.
Aktuell machen im Kanton Glarus 16 Personen eine Integrationsvorlehre. Diese wurde 2018 vom Bund eingeführt, wobei der Kanton Glarus bereits davor ein ähnliches Angebot entwickelt hatte. Die Integrationsvorlehre ist im Kanton Glarus eine Erfolgsgeschichte: «Seit Beginn haben 80 Personen das Programm absolviert», sagt Chrigi Saredi, Leiterin Abteilung Asyl im Kanton Glarus. 50 Prozent haben danach eine reguläre Ausbildung (EBA oder EFZ) gestartet. Die restlichen, bis auf wenige Ausnahmen, haben eine Festanstellung gefunden und so ihren Berufseinstieg geschafft. Seit 2021 steht das Projekt auch Personen ausserhalb des Asylbereichs offen, insbesondere Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus EU/EFTA- sowie Drittstaaten.
Zu diesem Erfolg tragen auch die verschiedenen Glarner Betriebe bei. «Was uns sehr freut und hilft ist, dass sich die Arbeitgebenden im Glarnerland immer offen für eine Zusammenarbeit zeigen», so Saredi. In der Regel finden sie stets einen passenden Praktikumsplatz und das in verschiedenen Branchen.
Für Anzhelika Polovenko ist die Ausbildung in der Schweiz wichtig. Sie weiss nicht, ob sie und ihre Familie zurück in die Ukraine gehen können. «Unser Haus ist zerbombt.» Zudem ist sie überzeugt, dass alle ihre Freunde nicht mehr in Mykolajiw leben, dass auch sie weggezogen sind. Hier hat sie einen neuen Freundeskreis, Schweizer und Flüchtlinge. «Die Kommunikation mit den andern Schülern in Ziegelbrücke ist nicht immer einfach, weil sie verschiedene Sprachen sprechen.» Über die Schweizerinnen und Schweizer hat sie eine klare Meinung: «Hier sind die Menschen freundlicher, offener als in der Ukraine.»
Deutsch ist wichtig
Die Mindestvoraussetzung für eine Integrationsvorlehre sind neben der Motivation, Deutsch auf Niveau A2 schriftlich und mündlich sowie ein Mathe-Niveau, das der 6. Primarklasse entspricht. «Die Integrationsvorlehre ist auch für Personen geeignet, die besser qualifiziert, aber sprachlich noch nicht so weit sind. Sie können das INVOL-Jahr nutzen, um Erfahrungen im Bildungs- und Erwerbssystem zu erhalten», so Saredi. Und wenn sie fünf Tage pro Woche Deutsch hören und sprechen, lernen sie die Sprache schnell. Die Integrationsvorlehre ist für Teilnehmende und für Arbeitgebende kostenlos, die Lernenden erhalten einen Praktikumslohn.
Anzhelika Polovenko gefällt das Praktikum: «Ich fühle mich gut, aber ich muss noch einiges lernen, zum Beispiel über Impfungen oder wie man mit dem Mikroskop arbeitet.» Dazu muss sie viel lesen, notabene auf Deutsch und in der medizinischen Fachsprache. «Das ist zuweilen anstrengend», erzählt sie. Zum Ausgleich gehe sie viel spazieren, mit ihrem Hund und ihrer Familie. Wo sie die Lehre machen wird, kann sie heute noch nicht sagen. «Ich suche eine Lehrstelle», sagt sie voller Zuversicht.
Fredy Bühler