Glarner Kartoffel verführt Gourmets

Im Dezember werden die Röseler am Chef’s Table von Cristine Hess Gass und Markus Gass serviert. Als Mousseline – feinster Kartoffelstock mit Sahne. (Delia Landolt)

Dass Koch Markus Gass einmal 17 Gault-Millau-Punkte (von möglichen 19,5) erkochte, wird an diesem November-Nachmittag nie erwähnt. Heute geht es um die Röseler, eine alte Glarner Kartoffelsorte. Gewachsen in Ennenda, wird sie in Ziegelbrücke vom Gourmet zur Mousseline gemacht. Wieso ihn nicht nur deren Regionalität überzeugt.

Markus Gass sticht mit einem Messer in die kochenden Röseler, eine alte Glarner Kartoffelsorte, die dieses Jahr erstmals wieder in Ennenda gewachsen ist. «Noch fünf Minuten», meint der Gourmet und macht das Passevite bereit. Oder Passe lentement? Sein Sieb ist so fein, dass der Prozess etwas länger dauert – unten raus kommt eine Vanillecrème-artige Masse, die in ihrer buttrigen Süsse tatsächlich als Dessert durchgehen könnte. Trotz 40 Jahren Berufserfahrung kocht Gass das erste Mal mit Röseler. Ab dem 4. Dezember wird seine Mousseline – Kartoffelstock mit Schlagrahm – mit einem gebratenen Kapaun einen Monat lang am Chef’s Table in Ziegelbrücke serviert. Seit 2020 bewohnen und bekochen Markus Gass und Cristine Hess Gass das Loft 6 in Ziegelbrücke, Stube und Küche teilen sie seit 2021 mit ihren Gästen. 

Agrikultur mit Tradition

Zurück ins Glarnerland – auf die Wiese von Bauer Remo Tschudi – brachte die Röseler und weitere Knollen das Projekt «Teilen auf dem Acker». Die Kartoffel-Initiative des Vereines KlimaGlarus.ch ist eines von etlichen Projekten, das ein CO2-neutrales Glarnerland anstrebt. Mit dem Projekt galt es, den Fleisch- und Milchfokus der Glarner Landwirtschaft zu erweitern. Denn Agrikultur sei eigentlich tief in der Region verwurzelt, «der erste schriftliche Beleg für Kartoffeln in der Schweiz geht auf den Kanton Glarus zurück», schreibt der Verein KlimaGlarus.ch. 2025 geht es nach dem diesjährigen Testlauf in die zweite Runde. 

Intensiver, süsser, knorriger

Obwohl Freiwillige im Sommer auf dem Acker Unkraut jäteten und Kartoffelkäfer von Hand ablasen, waren am Ende doch Pestizide nötig, um die Ernte vor der Krautfäule zu retten. 110 Kilogramm Röseler, eine seit 1992 von ProSpecieRara geschützte Sorte, zog der Verein aus dem Boden. Nun schwärmt Gourmet Gass von der ursprünglichen Sorte: «Kartoffeln – aber auch Gemüse und Früchte – werden so gezüchtet, dass sie eine schöne Form haben, resistent und lange haltbar sind.» Gerade bei Kartoffeln ist eine gleichmässige Form entscheidend, wenn die Knollen im Grossbetrieb in der Schälmaschine landen. Je unförmiger die Kartoffel – so wie die Röseler –, desto mehr Arbeit am Schneidbrett. Aber: «Die ursprünglichen Sorten sind intensiver im Geschmack und cremiger in der Konsistenz.» Für die Schreibende ein Aha-Effekt serviert auf dem Teelöffel als buttrige Mousseline. 

Die Grundkreativität sprudelt

«Ich springe sofort an, wenn etwas aus der Region kommt, und bin dankbar, wenn es an mich herangetragen wird.» Sobald Markus Gass ein Produkt vor sich hat, beginnt es im Kopf zu arbeiten, zu kombinieren. «Meine Grundkreativität sprudelt einfach, das war schon immer so», erklärt der 56-Jährige. 18 Jahre haben er und Cristine Hess Gass im «Adler» in Hurden am Zürichsee gewirtet. Als das Lokal zu Wohnungen werden sollte, nutzten sie die Chance, etwas Neues zu wagen. Das Loft passte perfekt. Mitten im langen, hellen Raum glänzt die Chromstahl-Küche, daneben ist der Chef’s Table sorgfältig gedeckt. Topfpflanzen füllen der Raum, umrahmen die helle Sofa-Ecke. Jeder Service ist hier exklusiv für maximal 12 Personen. Für den 280-fränkigen Fünfgänger – vom Champagner bis zum Kaffee alles inklusive – verweilen die Gäste gut drei bis zu sechs Stunden in Gass’ Stube. Ohne Werbung ist ihr neues Gastro-Konzept organisch gewachsen – getestet wurde die Idee mit befreundeten ehemaligen Stammgästen. Mittlerweile reisen «Foodies» nach Ziegelbrücke ihrem Lieblings-Koch hinterher. 

110 Kilo restlos ausverkauft

Beim Service erzählt Cristine Hess Gass gerne Geschichten über das Gericht, eine Zutat oder die Produzierenden – das Gastgeberpaar geniesst, etwas so persönlich vorstellen zu können wie jetzt die Röseler. Vielleicht erzählen sie, dass KlimaGlarus.ch einen Teil der drei Tonnen geernteter Kartoffeln am Samstag, 16. November, vor der Migros in Glarus verkauft und die bestellten Knollen per Cargo-Velo ausliefert. Mit dem Erlös werden weitere Klimaschutzprojekte im Glarnerland finanziert. Auf jeden Fall weiss man am Chef’s Table, dass die 110 Kilo Röseler mit ihrem feinen, schmelzenden Fleisch bereits nach vier Wochen ausverkauft waren. l Delia Landolt

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