Kann man sich einen schöneren Staat vorstellen als Kalifornien? Sonne, genügend Rohstoffe, das reiche Silicon Valley. Und doch: Heute sind dort 20 Prozent der Bevölkerung arm und 20 Prozent leben an der Armutsschwelle. Doch wie ist es im Glarnerland? Der FRIDOLIN sprach mit Rentnern in Glarus Nord, wo die Mieten steigen und die Renten stagnieren.
Susanne von Dach ist 65 Jahre alt, alleinstehend und hat zwei Kinder und vier Enkelkinder. «Von der AHV bleiben mir nach Abzug von Miete und Krankenkasse noch 200 Franken im Monat. Meine Pensionskassengelder schwinden wie Schnee an der Sonne, jedes Mal, wenn eine unvorhergesehene Ausgabe kommt – Zahnarzt, Selbstbehalt Arztrechnung, Geschenke, von allen Seiten wächst der Druck: Geld, Geld, Geld und der Frust: Alles geht runter.» Auch Fredi Kaufmann ist alleinstehend, auch er hat zwei Kinder und auch ihm bleibt von der AHV nichts, wenn Miete und Krankenkasse bezahlt sind. «Seit Mitte 2024 beziehe ich Ergänzungsleistungen, obwohl ich 50 Jahre gearbeitet habe. Dafür muss ich vor dem Sozialamt die Hosen runterlassen. Ich hatte mit der Familie vor der Scheidung eine Eigentumswohnung, da soll ich jetzt nach 10 Jahren den Gewinn ausweisen. Dabei weiss das Steueramt, wie wenig ich habe.»
Der Schock
Was macht das mit einem, wenn man am Existenzminimum lebt? «Ich bin im Zürcher Oberland aufgewachsen, habe dort als Buschauffeur gearbeitet, hatte dort mein Umfeld», sagt Fredi Kaufmann. «Ich kam hierher, weil ich hier eine Partnerin hatte, doch jetzt bin ich allein. Das soziale Umfeld kostet Geld, die Eintritte, ein Bier, ein Kaffee – es ist zermürbend.» Susanne von Dach arbeitete in der Landesbibliothek, wo sie schon mit 63½ Jahren pensioniert werden musste. «An Weihnachten. Plötzlich stand ich für mich selbst da, hatte eine leere Woche vor mir. Es war ein Schock. Da man finanziell so knapp ist, fängt man an zu schauen, macht sich den Kaffee zu Hause. Einmal am Tag gehe ich in einen AVIA-Shop und treffe andere. In Vereinen mitmachen ist schwierig – da muss man mithalten, muss nachher mit ins Restaurant gehen oder auf die Vereinsreise. Man sagt mir: Geh doch wandern in die Flumserberge. Aber sowas geht nicht – da bin ich schon mit Fahrt und Bähnli 100 Franken los. Auch das Schamgefühl kommt – schon wenn man Prämienverbilligung beantragt, muss man so viel bringen. Und irgendwann gehen einem die Anlaufstellen aus.»
Ein Budget?
Machen die beiden denn ein Budget? «Nein, das macht noch mehr Angst», sagt von Dach und Kaufmann: «Ich esse oft nicht mal was.» Was er sich leistet – einmal im Jahr ein paar Tage Sonne im Süden. Und er sagt: «Mit 2000 Franken wäre ich an einem andern Ort ein König. Prämienverbilligung im Glarnerland ist eine Katastrophe – die muss man im Januar eingeben, bekommt sie aber erst Mitte Jahr ausbezahlt, doch die Prämienrechnung muss man trotzdem schon bezahlen.» Weiterarbeiten als Möglichkeit? «Man macht die Erfahrung, dass man nicht mehr erwünscht ist auf dem Arbeitsmarkt», so von Dach. «Und in der Arena diskutieren sie, ob wir Alten zu faul zum Arbeiten sind. Doch es läuft von oben her falsch. Jobs gibt’s zwar, ich könnte Neophyten ausreissen, aber dafür bekomme ich kaum etwas. Für mich wäre das Hauptziel, dass ein Mensch – wenn er ein Leben lang gearbeitet hat – nicht einfach an einem Tag von Hundert auf Null reduziert wird.»
Drei Anregungen
«Die Leute stellen sich das Pensioniert Sein ganz anders vor, auch ich», sagt Susanne von Dach. «Das Abstellgleis ist brutal: Wenn man in der Schweiz nicht ausreichend Geld hat, wird man unsichtbar, es ist eine Negativspirale. Ich hatte eine schlechte Zeit, aber nun gehe ich täglich raus, sehe die Vögel, die Tiere. Mit diesen Ausflügen kam die Freude, ich freue mich jetzt schon auf die Schneelandschaft, dann trinke ich einen Most und gehe wieder heim.» Für Fredi Kaufmann wäre es wichtig, unter Leute zu kommen. «Ich möchte hier hinten nicht allein sein, aber in Oberurnen hört man nicht mal, wenn etwas los ist. Man müsste einfacher an die Infos kommen, das Dorf stärken, Informationen aufs Handy bekommen. Auch der FRIDOLIN würde mir fehlen.» Und es brauche Orte, wo man sich austauschen kann. Die Renten sollten steuerfrei sein, so Kaufmann, die 13. AHV nicht mit Mehrwertsteuerprozenten finanziert werden, weil das die Armen am härtesten trifft. Susanne von Dach fügt an: «Für mich wäre wichtig, dass alle ein Grundgehalt haben, von dem sie leben können, also etwa 3600 Franken, damit auch ein paar Franken für Extraausgaben bleiben. Denn das gibt eine psychische Kraft, einen Horizont.»
FJ/BUF