Lautes Schweigen

In diesem Teil der Säule sind die Lacher in der Überzahl. Sonst dominieren wütende, grimmige und grummelige Gesichter. (Foto: Søren Ehlers)

So wie beim Pingpong die Bälle hin und her fliegen, so sollen beim FRIDOLIN Kunst-Pong die Ansichten über Kunstwerke sich miteinander messen. Im FRIDOLIN Kunst-Pong kreuzen die «Redaktionsgschpänli» Juliane Bilges und Søren Ehlers die Klingen der Sprache und zeigen, dass man auch bei ganz grosser Kunst verschiedene Ansichten haben kann. Ihr Blick auf die Kunst ist schon generationenmässig verschieden. Sie ist ein Zoomer, er fast noch ein Baby-Boomer. Aber auch gendermässig: Sie ist eine Frau, er ein Mann. Besprochen werden Werke im Kanton Glarus oder aus der Region, die Texte sind bewusst subjektiv.

Für die sechste Ausgabe der gemeinsamen Kunstbetrachtung wählten Søren Ehlers und Juliane Bilges ein Kunstwerk aus, welches seit einigen Monaten an der Weesner Promenade, nahe des Mammutbaumes steht.

Søren
Auf den ersten Blick, noch von weit weg, wirkt die Skulptur wie aufgetürmte Schädel. Dann, die Skulptur mehrmals umkreisend, versuche ich, eine Ordnung oder Struktur zu erkennen. Scheinbar wild durcheinander angeordnet schauen mich Erwachsene, Kinder, Frauen, Männer, Gross- und Kleinköpfige an. Ich nehme mir Zeit, die Skulptur von ganz nahe, dann wieder von weit weg, vom Seeufer her, zu betrachten.

Die Zahl der Gesichtsausdrücke ist gross. Viele machen heftige Grimassen, brüllen, schmollen, lachen. Viele stehen für sich, schauen in die Weite oder wenden das Gesicht ab, sind alleine mit ihrer Freude, ihrer Trauer oder Empörung. Einige nehmen aber auch Bezug auf einen benachbarten Kopf. Zwei Paare, die sich küssen wollen, zwei Kinder, die hässig sind aufeinander.

Die Köpfe vermitteln mir verschiedene Stimmungen. Geschichten entstehen, wenn ich mich frage: «Warum ist die Frau so hässig? Wen brüllt sie gerade an? Ich kann es nicht sein, denn sie blickt nicht zu mir. Was ist passiert?»

Juliane
Bei meiner ersten Betrachtung dachte ich, dass sich an der Säule nur «unglückliche» Köpfe finden lassen. Also traurige, wütende, empörte oder schreiende Grimassen. Was mich zu der Frage führte, warum im Park Weesen eine Skulptur ausgestellt wird, welche eher negativ behaftete Emotionen zeigt. Man könnte sagen, ich war im ersten Augenblick etwas erstaunt.

Auf den zweiten Blick habe ich Köpfe entdeckt, welche einen friedlichen Gesichtsausdruck haben, lachen, oder sogar ein Paar, das sich küssend zueinander neigt. Für mich sind es aber dennoch eher unglückliche Gesichter, die mir ins Auge stechen. Auch ich frage mich, was diesen Gesichtern wohl passiert ist und schliesslich zu diesen heftigen Grimassen geführt hat. Sind die Gesichter inspiriert von real lebenden Menschen, welche der Künstler oder die Künstlerin kannte und sich folglich von ihnen inspirieren liess? Kann ich als Betrachterin mich vielleicht sogar selbst in einigen Emotionen wiederfinden?

Søren
Erst jetzt, nach Deiner und meiner ersten Betrachtung schaue ich nach, was im Internet über das Werk zu finden ist. Das Objekt «Menschensäule» stammt von Franziska John. Sie war schon vieles im Leben: kaufmännische Angestellte, Einkauf und Verkauf in der Modebranche, Primarlehrerin, Raumgestaltung, Malerei, Mosaik, Vergoldungen. Dann «Ab 2012 Menschen formen: Skulpturen und ab 2014 Menschen führen: Schulleiterin.» Einige der Menschen auf der Säule hat die Künstlerin früher schon modelliert und unter dem Titel «Emotionen» ausgestellt. Skulpturen von Menschen, oft ganze Körper und mit Farbe, hat sie schon viele platziert im öffentlichen Raum, etliche in Weesen. ­Bestimmt kennst Du einige davon, Juliane.

Ich sehe die vielen Köpfe auf der Säule nicht nur als einzelnes Werk, sondern auch als Sammlung von Versuchen der Künstlerin, sich mit Emotionen und deren Darstellung auseinanderzusetzen. Ich hätte Lust, wenn mich die Künstlerin das machen liesse, die Menschen auf der Säule ganz anders zu ordnen. Z. B. zu sortieren nach Alter von unten nach oben.

Juliane
Franziska John hat sich also schon länger mit Menschen auseinandergesetzt, auch in ihren beruflichen Tätigkeiten. Da wundert es mich nicht, dass sie angefangen hat, Emotionen zu modellieren. In Weesen gibt es tatsächlich sehr viele Skulpturen der Künstlerin. Ob ich schon alle gesehen habe, oder mich irgendwann doch noch eine Überraschung erwartet, wer weiss. Nun frage ich mich, ob die Köpfe der «Menschensäule» einer bestimmten Ordnung folgen. Wenn ja, habe ich diese Gesetzmässigkeit noch nicht herausgefunden. Aber vielleicht gibt es auch keine bestimmte Ordnung, denn auch Emotionen passieren oftmals einfach, ohne dass sie einer bestimmten Struktur folgen müssten.

Ich mag es, dass sich in ganz Weesen verteilt so viele Skulpturen von John finden lassen. Irgendwie erscheint mir das Städtchen nun wie eine Art Outdoor-Galerie, welche verschiedene Werke einer Künstlerin präsentiert. Aus einem Spaziergang kann so eine Kunst-Schnitzeljagd entstehen. Man schlendert durch den Ort und entdeckt immer wieder eine neue Skulptur, die bestaunt werden kann. 

Juliane Bilges und Søren Ehlers

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