Reguliert aus dem Ruder

Auf dem Areal des Kantonsspitals soll ein neues ambulantes Zentrum entstehen – so will es eine eben vom Landrat überwiesene Motion. (Foto: FJ)

Die steigenden Prämien schmerzen, doch das Thema der Gesundheitskosten ist komplex. Der FRIDOLIN hat bei der Glarner Krankenversicherung, bei den Altersheimen, bei der Ärztegesellschaft und bei Gesundheitsminister Dr. Markus Heer nachgefragt, um die Zusammenhänge und die Möglichkeiten zu skizzieren.

«Gestern Abend habe ich mir die Zusammenfassung des Spiels YB gegen Basel angeschaut. Wenn ich das Trikotsponsoring einer Krankenkasse auf dem Leibchen von YB sehe, frage ich mich, wo hier der Beitrag für die Gesundheit der Bevölkerung liegt», so Bernhard Kuster, Geschäftsführer von cura unita Glarus. «Das Gleiche gilt für die wöchentlichen Anrufe von Vermittlern von Krankenkassenpolicen. Das ist nicht nur nervig, jemand wird dafür auch bezahlen. Hier gibt es wohl noch Sparpotenzial. Damit alleine retten wir die Finanzen des Gesundheitssystems nicht, es wäre aber ein Beitrag.» Wie er sehen viele die Krankenkassen in der Pflicht – doch in erster Linie verteilt jede Krankenkasse einfach die Kosten auf die Versicherten.

Dämpfen
Für Pino Puopolo, Geschäftsführer Glarner Krankenversicherung, braucht es weit mehr, um die Gesundheitskosten nachhaltig zu senken: «Wir sind der Meinung, dass die Umsetzung von kostendämpfenden Massnahmen der Gesundheitskosten dringend nötig ist, um weitere überdurchschnittlich starke Prämienanstiege zu vermeiden.» Puopolo nennt neben der Senkung der Medikamenten- und Laborpreise unter anderem «die überregionale und nationale Versorgungsplanung anstelle der heute kantonalen für die Spitäler und die verbindliche Verknüpfung der Vergütung mit Qualitätskriterien.» Das sieht Regierungsrat Dr. Markus Heer ähnlich: «Angesichts der demografischen und medizinischen Entwicklung wäre es wohl vermessen, von einer Senkung der Krankenkassenkosten zu sprechen. Ziel muss es aber sein, die Kostensteigerung im Gesundheitswesen zu dämpfen.» Heer nennt als Ansatzpunkte ebenfalls den Aufbau von integrierten Versorgungsregionen und -angeboten, dazu die Gesundheitsförderung und Prävention und «die Anpassung der Tarifstrukturen mit dem Ziel, kostengünstigere ambulante Behandlungen und die Hausarztmedizin zu fördern.»

Vereinheitlichen
Zudem gehe es, so Heer, darum, finanzielle Fehlanreize zu beseitigen «durch die Einführung der einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen im Bereich der Akutversorgung (EFAS). Darüber stimmen wir am 24. November ab.» Jonas ­Micheroli, Präsident der Glarner Ärztegesellschaft, streicht dazu hervor: «Fakt ist, dass die Prämien stärker zunehmen, als die gesamten Gesundheitskosten. Die Vorlage zur einheitlichen Finanzierung vom 24. November führt dazu, dass hinsichtlich Kostenbeteiligung die staatlichen Beiträge zunehmen und dafür die Leistungen über Krankenkassenprämien abnehmen. Damit vermindert sich das stärkere Prämienwachstum im Vergleich zum Gesamtkostenwachstum, weshalb die Glarner Ärztegesellschaft empfiehlt, diese Vorlage anzunehmen.»

Verantwortung tragen
Ein grosses, aber auch schwieriges Thema ist die Selbstverantwortung der Bevölkerung – da sind sich Regierungsrat Heer und Arzt Micheroli einig. «Wir Hausärzte sehen sowohl in der Notfallpraxis als auch in der Hausarztpraxis regelmässig Bagatellerkrankungen oder -traumen, bei welchen nicht sofort eine Arztkonsultation notwendig gewesen wäre. Zudem gibt es Arztkonsultationen aufgrund eigentlich harmloser und nur vorübergehend aufgetretener Beschwerden, bei welchen ‹bewiesen› werden soll, dass die selbstdiagnostizierte Krankheit nicht vorliegt. Dabei sind wir in der Hausarztmedizin auch damit konfrontiert, dass wir im Sinne einer ‹Managed Care› Patienten von unnötigen und teuren Untersuchungen abhalten müssen. Hierbei ist das Hausarztmodell der Krankenkassen sicherlich eine sinnvolle Variante, um Kosten zu sparen.» Und Markus Heer zieht das Fazit: «Letztlich hat es jede und jeder in der Hand, etwas gegen die Steigerung der Gesundheitskosten zu tun. Wenn wir wegen jedem noch so kleinen Leiden zum Arzt oder sogar in den Notfall des Spitals rennen, treiben wir die Gesundheitskosten unnötig in die Höhe.»

Herausforderungen der GLKV ...
Tatsächlich sind alle Befragten künftig von Herausforderungen betroffen. Für Krankenversicherer Pino Puopolo sind es «die über Jahre anhaltenden tarif­losen Zustände zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern. Sie führen zu Bildungen von oft hohen Rückstellungen und zu sehr aufwendigen Rückabwicklungen. Folglich steigen danach auch die Tarife wie aktuell bei sehr umsatzstarken Leistungserbringern (Ärzte sowie Spital ambulant und stationär). Kombiniert mit dem hohen Konsumverhalten lasten diese Entwicklungen auf den schon hohen Prämien. Die anstehenden Reformen wie EFAS oder die Einführung neuer Tarifmodelle gilt es wirklich kostenneutral umzusetzen.»

... und der Ärzteschaft
Für Arzt Micheroli ist es «der sinnvolle Umgang mit dem vermehrten Angebot an Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten. Die geplante Einführung des neuen ambulanten Tarifsystems Tardoc ab 1. Januar 2026 ist ebenfalls eine grosse Herausforderung und muss sich bezüglich der vorgeschriebenen Kostenneutralität beweisen. Die Einführung eines funktionierenden elektronischen Patientendossiers wäre wünschenswert und hat das Potenzial Kosten einzusparen. Leider ist die aktuell vorliegende Form unbrauchbar und führt lediglich zu vermehrtem administrativen Aufwand und somit zu Mehrkosten. Insgesamt müssen die zunehmenden administrativen Aufwände für die Ärzteschaft, welche zum Teil fälschlicherweise als Qualitätskontrollen verkauft werden und zu Mehrkosten führen, vermieden werden.» Auch sei der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen und in der Grundversorgung hoch, trotzdem brauche es gerade diese hausärztliche Grundversorgung zur kostensparenden Betreuung von Patienten und Patientinnen.

Bernhard Kuster von den Alters- und Pflegeheimen sagt: «In meiner Wahrnehmung haben die bürokratischen und administrativen Anforderungen der Krankenkassen in den letzten Jahren zugenommen. Einerseits verstehe ich, dass die Krankenkassen kontrollieren müssen und auch sollen. Andererseits verursacht dies bei uns aber Aufwand. Mit dieser Herausforderung können wir umgehen und akzeptieren dies als Teil unserer Aufgabe.» Pino Puopolo ist dafür, die Regulierung im Gesundheitswesen abzubauen, insbesondere stellt er die Aufsicht durch das Bundesamt für Gesundheit mit dem heutigen Detaillierungsgrad in Frage.

Doppelrolle
Eine Doppelrolle hat Regierungsrat Dr. Markus Heer – als Gesundheits- und Finanzminister: «Der Kanton ist insbesondere über die Prämienverbilligungen von den steigenden Gesundheitskosten direkt betroffen. Er muss zudem aufgrund des indirekten Gegenvorschlags zur Prämienentlastungsinitiative Anpassungen bei der Prämienverbilligung prüfen, welche uns gemäss einer Berechnung des Bundesamtes für Gesundheit mehr als 4 Mio. Franken pro Jahr zusätzlich kosten werden.» Ferner sei der Kanton auch über die uneinbringlichen Prämien betroffen, bei welchen er einen Grossteil des Ausfalls übernehmen müsse.

Sofern sich die Leistungserbringer und Versicherer nicht auf eine Vergütung einigen könnten, muss der Kanton die Tarife festlegen. Da bedarf es einer schwierigen Abwägung. Einerseits muss die Entschädigung so festgesetzt werden, dass immer noch ein genügendes medizinisches Angebot an Leistungen bereitgestellt wird. Anderseits ist die zusätzliche Belastung der Prämienzahlenden durch höhere Tarife zu berücksichtigen. Heers Fazit: «Letztlich steht der Kanton in der Pflicht, für eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung zu sorgen. Das heisst aber gerade nicht, dass jedes Bedürfnis befriedigt werden muss.»

FJ

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