Wenn ein Bundesrat zusammen mit den anderen Ehrengästen am Landsgemeinde-Samstag in Glarus ankommt, steht als erstes eine Führung durchs Kunsthaus an, dann ein Abendessen im Adler in Schwanden, anschliessend wird im Glarnerhof übernachtet. Dieses Jahr zu Gast war Beat Jans, der im dichten Programm Zeit für ein Interview fand.
FRIDOLIN: Herr Bundesrat, was verbinden Sie mit dem Glarnerland?
Beat Jans: Ich hatte eine Studienkollegin aus Engi. Sie hat mir erzählt, wie sie täglich mit dem Velo nach Glarus in die Kantonsschule gefahren war. Ich habe sie dann einmal besucht und wir haben die Strecke zusammen gemacht. Ich war sehr beeindruckt. Für mich war sie eine typische Glarnerin – sie hatte viel Energie und diskutierte gern über Politik. Ich dachte immer, das kommt bestimmt von der Landsgemeinde.
Was ist für Sie das Interessanteste an der Landsgemeinde?
Es gibt an der Landsgemeinde kein Stimmgeheimnis. Wenn eine Gesellschaft es schafft, sich wegen unterschiedlicher Meinungen nicht zu spalten, ist das eine sehr reife und moderne Leistung. Wir müssen unsere Mehrheiten immer wieder neu finden. Wenn das in einer Versammlung möglich ist, wo alle mitreden können und sich gegenseitig zuhören, ist das die schönste Form davon.
Nach der Frage, ob der Bundesrat die Themen der diesjährigen Landsgemeinde nicht irrelevant fände, wird aus dem Interview ein offenes Gespräch. Jans verneint die Frage mit «nicht nur umstrittene Themen sind wichtig.» Und bringt ein: «Ich finde die Entscheide der Glarner Bevölkerung in vielerlei Hinsicht wegweisend. Sie zeigen, dass die Landsgemeinde als Instrument nicht altbacken ist. Sie ermöglicht offenbar innovative, mutige Entscheide.» Das Gespräch geht über zu ebendiesen – zum Beispiel Stimmrechtsalter 16. Er habe mitbekommen, «dass sich junge Leute in die Diskussionen einbringen. Das finde ich toll. Ich habe das Gefühl, Glarus ist der Kanton, wo die Jungen am meisten Gewicht haben.»
Wie sind Sie zur Politik gekommen?
Ich war für ein Landwirtschaftsprojekt von Helvetas in Haiti und Paraguay. Ein Mitarbeiter von mir wurde gefoltert, weil er sich demokratisch im Wahlkampf engagiert hatte. Dort hatte ich mir geschworen: Ich werde mich mein Leben lang einsetzen für den demokratischen Rechtsstaat, wie wir ihn in der Schweiz haben. Aber auch an ihm arbeiten. Jetzt bin ich zu meiner eigenen grossen Überraschung ... (Pause) … Justizminister (lacht).
Als Beat Jans nach seinem Abschluss als Umweltnaturwissenschaftler an der ETH Zürich zurück in Basel war, setzte er sein Vorhaben um und wurde Co-Präsident eines SP-Quartiervereins. Ihm ist der soziale Austausch wichtig – Politik sollte nicht immer nur bierernste oder heftige Diskussionen beinhalten. Er organisierte Infoveranstaltungen und Feste, wodurch der Verein stark wuchs. Die SP fragte ihn an, Kantonalpräsident zu werden. So nahm seine Politkarriere ihren Lauf.
Was haben Sie in Ihrem ersten politischen Amt gelernt?
Man kann die Leute nicht begeistern, indem man ihnen die Welt erklärt. Sie wissen selbst gut Bescheid. Man muss sich zusammen mit ihnen auf den Weg begeben, gemeinsam herausfinden, was sie brauchen, was sie beschäftigt. Das ist mein Motto bis heute.
Finden Sie es wichtig, möglichst früh politisiert zu werden?
Wenn die Jungen interessiert sind am politischen Geschehen, sollen sie auch mitentscheiden können – deshalb bin ich Fan von Glarus. 16-Jährige sind fähig, differenzierte Entscheide zu fällen und echte Argumente von einer Kampagne zu unterscheiden. Meine Töchter würden gerne schon mit 16 abstimmen – das freut mich. Als ich jung war, gab es in Basel die Bewegung der autonomen Jugendzentren, die gegen den Staat und für mehr Freiheit waren. Vielleicht, weil wir das Stimmrechtsalter 16 nicht hatten – wer weiss (lacht)?
Sie sagen, Ihre Chefin sei die Bevölkerung. Wie schaffen Sie es, auch als Bundesrat Stimmungen aus dem Volk abzuholen?
Ich probiere, unter die Leute zu gehen, mit dem Zug zur Arbeit zu fahren oder mit dem Hund am Rhein spazieren zu gehen. Ich lese Bürgerbriefe. Und ich versuche, nicht ausschliesslich Anlässe zu besuchen, wo nur die Elite verkehrt.
Nach der Landsgemeinde: Herr Jans, was sind Ihre Eindrücke?
Mich hat die Qualität der Debatte beeindruckt: Man spricht kurz, hört sich zu und geht auf die Argumente der Vorrednerinnen oder Vorredner ein. Die Voten werden in einfacher Sprache und differenziert gehalten. Jung und Alt beteiligen sich und stehen zu ihrer Meinung. Das ist gelebte, funktionierende Demokratie. Und die Kinder, die vorne an der Landsgemeinde-Bühne sitzen, lernen eindrücklich und nachhaltig, wie man Auseinandersetzungen friedlich und respektvoll löst.
Delia Landolt