Der Glarner Erdrutsch war in aller Munde. Nationale und internationale Medien hatten ausführlich darüber berichtet. Der Alltag dürfte noch lange nicht eingekehrt sein, aber es scheint ruhiger geworden zu sein.
Nachdem das Paar Barbara Isler und Hans Ryser, beide 71-jährig, am 5. September von einem Feuerwehrmann mit der Hiobsbotschaft überrascht wurde, war nichts mehr, wie es einmal war. Es blieben ihnen fünf Minuten, ihr Hab und Gut zu packen, die Katze unter den Arm zu nehmen und ins Gemeindehaus Schwanden zu «fliehen». Dort standen sie, mit anderen aus insgesamt 62 evakuierten Haushalten, fanden dann erstes Asyl im Brauereigasthof Adler. Dort mussten sie nach wenigen Tagen wieder ausziehen, die Zimmer waren vorgängig schon von Feriengästen gebucht.
Dank Mund-zu-Mund-Propaganda konnten sie zu Claudia Manser umziehen, die seit rund 20 Jahren im Sändli 7 Linthal ein B&B führt. In der «Bergheimat», dem Elternhaus von Manser, leben aktuell acht Personen – Feriengäste oder Menschen mit festem Wohnsitz.
Noch haben sich die zwei «Heimatlosen» nicht daran gewöhnt, doch sie fühlen sich recht wohl im B&B. Hans hat sich zum Hüttenwirt gemausert. Er kümmert sich um das Wohl der Hausbewohner, ist für PC-Angelegenheiten, Reparaturen und Zubereitung des Frühstücks zuständig, Barbara verwöhnt täglich mit guten Essen. All das lenke ab, man helfe sich, habe sich so gut wie möglich organisiert.
Ein paar Tage später können Claudia und Hans zum ersten Mal zum Wohnblock fahren. Mit Funkgerät ausgestattet, räumen sie eilig den Kühlschrank, packen Kissen, Schuhe, Katzenkiste, Fotobücher. Am Tisch des Gemeinschaft-Wohnzimmers glitzern an diesem Mittag vor allem bei Barbara immer wieder Tränen in den Augen. Sie hat Angst, in den Wohnblock zurückzukehren. Angst, ein weiterer Erdrutsch könnte noch schlimmeres Leid verursachen. «Feuerwehr und Zivildienstleute haben sich empathisch und hilfsbereit gezeigt», bricht sie unerwartet das Schweigen, ihr Partner pflichtet bei: «Man hat uns im Adler einen Geldbetrag überreicht, wir durften alle einen Coiffeur-Besuch bei Tiffany in Anspruch nehmen und das Märchenhotel Braunwald lud ein für drei Tage Asyl.» Über sein Gesicht huscht ein Lächeln. «Auch Coop schenkte uns Betroffenen einen Einkaufsgutschein, nicht selbstverständlich.» Laut Claudia Manser wurden aber von den Betroffenen teilweise leider hohe Preise für Übernachtung oder Miete verlangt. «Auch Haustiere waren bei diversen Wohnangeboten nicht geduldet, was doch nachdenklich stimmt.» Einig sind sich die drei am Tisch, dass eine Auffangstelle nötig gewesen wäre – neben den Pfarrämtern. Kompetente Hilfe, ein Ort, an dem man reden kann.
Für die B&B-Besitzerin ist klar: das Paar darf bleiben so lange wie nötig. Abgerechnet werde später, für einen Beitrag an Wasser und Strom sei sie dankbar. In solchen Ausnahmefällen müsse aber in erster Linie Beistand geleistet werden. Egal wie und wann ...
Susanne von Dach