In diesem zweiten Teil der Reise III beschreibt Albert Schmidt den Weg «Vom Aït Bougmez in den Hohen Atlas» In der Ausgabe vom 19. Januar folgt dann Teil IV «Vom Djebel Zereg nach Taouz».

Über Berghöhen und durch rote Täler ins Herz des Ighil M’Goun Massivs
Als wir uns für die Atlaswanderung angemeldet hatten, dachten wir, es würden noch weitere Gäste dazukommen. Dann erfuhren wir, dass wir allein seien und die Tour Ende Mai bis Mitte Juni in die Zeit des muslimischen Ramadans falle. Da wollten wir zurücktreten. Nein, nein, das müsse nicht sein, ihre Leute hier seien die Fastenzeiten gewohnt und sie brauchten den Verdienst, erhielten wir als Antwort von unsern Freunden der Trekkingagentur. Auf ihrem Merkblatt zum Ramadan lesen wir:

«Reisen in einer anderen Kultur, zu anderen Zeit- und Raumdimensionen sind immer auch Chancen, Türen und Herzen zu öffnen zu einem toleranten Kulturverständnis und bereichernden Begegnungen. Im Erleben einer Tour im Fastenmonat sind die Schwingungen dieses Gesellschaftsereignisses spürbar, nur der Rhythmus der Reise verändert sich leicht.»   

Wir starten daher am 24. Mai zuversichtlich von Dar Itrane aus mit einer gemütlichen Wanderung talauswärts zum Dorf Arous. Direkt aus dem Dorf geht es steil in die Höhe des Adrar Tafenfent, in Kalkberge hinauf, die mit uralten Steineichen und Wacholderbäumen bewachsen sind. («Adrar» entspricht dem «Djebel» im Süden). Die nächsten Tage geht’s dann durch die dunkelroten Hügelzüge des Adrar Tifdaniwine, nochmals hinunter ins Dorf Ghougoult, von dort in die tiefe Felsenschlucht des Ddaghout-Flusses hinein und hinauf zum Pass Tizi-n-Rouguelt, auf dem uns ein stürmischer Wind keine Rast gönnt. In der Nacht kommt unten im Lager ein brutaler Fallwind auf, das Team hat grösste Mühe, die Zelte zu sichern. Etwas mitgenommen von der schlechten Nacht geht es anderntags durch eine Steilflanke und Felsstufen, in der auch die geländetüchtigen Maultiere an ihre Grenzen kommen, hinauf zum vegetationslosen Plateau de Tarkeddit, das sich auf Claridenhöhe erstreckt. Nach dem Abstieg kommen wir ins breitgeformte, grüne Vallée de Tarkeddit, durch das der Oued Tessaout fliesst. Hoch im Süden die lange Kette des Ighil M’Goun. Er ist gefürchtet bei starken Winden, zudem dräut wie am Abend zuvor ein Gewitter im Westen, dunkles Gewölk zieht auf, wir müssen auf seine Besteigung verzichten. 

Nach einer frostigen Nacht ist der Morgen aber klar. Über das Hochplateau führt der Weg im Morgenlicht der M'Goun Kette-entlang, steil runter in einen Talkessel, in dem Nomaden mit ihren Herden in den archaischen Unterständen von Sandsteinfelsen den Sommer verbringen. Die leuchtenden Abende im Tal des Assif-n-Oulilimt unter dem M’Goun-Gebirge und am Assif Amougr mit seinen stark ver-witternden Felspyramiden vergehen in der leisen Naturmelodie des Hohen Atlas.

Am zweitletzten Tag steigen wir über einen Pass und durch ein Seitental wieder hinunter ins glückliche Tal der Berber, zu einem Lagerplatz neben sprudelnden Wasserkanälen. Am andern Tag überfällt uns nachmittags ein Gewitter mit einer Gewalt, wie es sie bei uns (noch) nicht gibt. Es kommt aus den Atlashöhen, durch die wir gewandert sind. Wir sind froh und dankbar, dass wir dort oben davon verschont wurden. Dann kommt wieder der Abschied von unsern Begleitern, die uns zu Vertrauten geworden sind. Wir haben sie schätzen gelernt. Die langen Ramadantage, ohne Verpflegung einzunehmen zu können, haben sie frohgemut geschafft, untereinander immer gut gelaunt und zu Spässen bereit. Nach den gemeinsamen Wandertagen deshalb ein herzhaftes Saha und Bslama zum Abschluss.

Albert Schmidt