Frauenporträt Dodo Brunner: «Ich meldete mich im Spital»

Dodo (Dora) Brunner – aktiv im Ruhestand. (Foto/Video: FJ)

«Körperlich und geistig fit die Pensionierung zu erreichen und geniessen zu dürfen, ist ein Privileg, das ich nicht genug schätzen kann», sagt Dodo Brunner, die 2020 mit dem Dr. Rudolf-Stüssi-Preis ausgezeichnet wurde. Neben ihrer Arbeit für das Glarner Wörterbuch begleitet sie am Kantonsspital Glarus Patienten.

«Genau 17 Tage nach meinem 64. Geburtstag, am 31. Juli 2018, wurde ich pensioniert», sagt Dodo Brunner. Zwar sei sie keineswegs schulmüde gewesen, «meine Arbeit als Rektorin einer Kaufmännischen Berufsfachschule gefiel mir bis zum allerletzten Arbeitstag ausgezeichnet und ich hätte mir keine erfüllendere Tätigkeit wünschen können – aber ich fand, 42 Jahre seien genug.»

Sich keine Gedanken machen
«Ich hatte mir im Vorfeld meiner Pensionierung kaum Gedanken darüber gemacht, wie ich die freiwerdende Zeit verbringen würde. Ich freute mich darauf, morgens ohne Wecker aufzuwachen und dann das zu tun, worauf ich gerade Lust hatte.» Die mehr oder weniger gutgemeinten Ratschläge von bereits pensionierten Bekannten, sie müsse sich zwingend auf diesen neuen Lebensabschnitt vorbereiten, schlug sie in den Wind. «Natürlich hatte ich einige Reisen im Hinterkopf, welche ich endlich ausserhalb der Schulferien machen würde. Aber den Alltag als Pensionierte ging ich absolut unbeschwert und planlos an. Und diesen geniesse ich bis zum heutigen Tag ausgiebig.»

Mit Freiwilligenarbeit etwas ­zurückgeben
Nun engagiert sich Dodo als Patientenbegleiterin am Kantonsspital Glarus. Mindestens drei- bis viermal im Monat übernimmt sie den Pikettdienst und setzt sich, wenn sie aufgeboten wird, von abends 22.00 Uhr bis 07 .00Uhr in der Früh ans Bett – zu Menschen, die allein und krank sind, zu solchen die Angst im Dunkeln haben, zu Sterbenden. Weshalb sie sich für Sitznachtwachen engagiert? «Es geht über 30 Jahre zurück, als mein Vater im Spital war. Man wusste, dass er gehen muss, und ich spürte, dass er nicht allein dort sein will. So wechselte ich mich mit meiner Mutter ab, um ihn zu begleiten: sie am Tag, ich nachts. Mir war es ein Anliegen, dass er nicht allein sein muss, wenn er stirbt.» So wusste sie auch sofort, dass sie sich in der Freiwilligenarbeit engagieren will. «Ich meldete mich deshalb im Spital.» Dort ist sie dem Bereichsleiter stationäre Pflege Johannes Teuber unterstellt und dem Spitalpfarrer Daniel Zubler. Ihre Aufgabe: bei den Kranken sein, sie durch die Nacht begleiten.

Der Mensch als Mensch
«Doch ich habe keine Pflegeaufgabe. Ist etwas mit dem Patienten, muss ich das Pflegepersonal rufen. Ich bin aber für den Mensch als Menschen da. Wenn jemand Durst hat, kann ich ihm zu trinken bringen. Wenn jemand selber aufstehen kann, kann ich mit ihm auch aufs WC gehen oder auf dem Flur spazieren.» Einfach da sein, etwas vorlesen. «Das gibt mir Zufriedenheit, das Gefühl, gebraucht zu werden, jemandem etwas Gutes tun zu können, dem Patienten, aber auch allen Pflegenden, die unsere Arbeit sehr schätzen.» Sie ist also im Kontakt mit Kranken und Sterbenden. Das wirkt sich auch auf sie aus. Meine Reaktion? «So verschieden, wie die Menschen verschieden sind. Manchmal gehe ich zufrieden heim, weil ich spüre, ich habe einen guten Dienst getan. Aber manchmal fühlt sich ein Patient gestört durch meine Anwesenheit. Dann braucht es viel Einfühlvermögen. Von einigen spürt man grosse Dankbarkeit, andere fragen: weshalb bist du da?.»

Vorbereitung
So oder so lerne sie bei den Sitznachtwachen einiges übers Leben kennen. «Ich habe bis jetzt noch nicht erlebt, dass jemand in meiner Gegenwart starb. Ich hatte bei meinem Vater auch Angst, dass er dann stirbt, wenn ich da bin. Doch irgendwann wird es kommen, aber damit werde ich dann auch umgehen können. Ich weiss, Sterben gehört zum Leben, doch bis jetzt war ich selten bei Sterbenden, eher bei solchen, die Angst im Dunkeln hatten, oder wo die Angehörigen die Patienten nicht allein lassen wollten.» Und die Sitznachtwachen geben ihr – als Frau, die über 40 Jahre lang berufstätig war und Mutter einer erwachsenen Tochter ist – Zufriedenheit und das Gefühl, gebraucht zu werden und jemandem etwas Gutes tun zu können. Wie sie sich auf die Nachtwachen vorbereitet? «Während des Berufslebens hätte ich das nicht machen können. Doch jetzt schreibe ich mich alle zwei Monate für sechs bis acht Nächte auf der Liste ein. Ich achte darauf, dass ich am Tag vor der Nachtwache kein zu grosses Programm habe. Und der Vormittag des nächsten Tages muss leer sein in der Agenda, ich gehe um 22.00 Uhr ins Spital und bin bis 06.00 Uhr dort, danach schlafe ich bis Mittag. Abends gehe ich rechtzeitig ins Bett, darauf geht das Leben normal weiter. Ich bin dann halt etwas müde. Doch das ist für mich nicht problematisch – ich habe ja die Möglichkeit, mich zu erholen.» Durchschnittlich schreibt man sich drei- bis viermal pro Monat ein. Wenn dann die Pflegenden feststellen, dass sie jemanden für eine Sitznachtwache benötigen, rufen sie bis 13.00 Uhr bei der Person an, die sich eingeschrieben hat. «Wir sind momentan vier Frauen, die das derzeit machen. Früher waren auch Männer dabei, die Gruppe war grösser – jetzt sind drei Personen gleichzeitig altershalber ausgeschieden. Deshalb wäre es wahnsinnig schön für uns, wenn sich noch ein paar Frauen und Männer für die Sitznachtwachen entscheiden könnten. Es ist ein nützlicher Dienst, der wichtig ist als Hilfe am Mitmenschen, und es braucht keine Vorkenntnisse dazu.»

Typisch Frau
Ist es denn typisch, dass gerade Frauen diese Art der karitativen Arbeit leisten? «Da gibt es auch viele Männer, die sich in der Freiwilligenarbeit einsetzen, wenn auch nicht unbedingt im Spital. Dort hat Pflege und Betreuung noch eher eine weibliche Komponente. Es gibt aber viele Männer, die karitativ arbeiten und die das nicht an die grosse Glocke hängen. Auch bei KISS  engagieren sich nicht nur Frauen, sondern auch viele Männer.»

Die Hobbys
Dodo Brunner ist auch Mitglied in der Academia Glaronensis und arbeitet – als Präsidentin des Vereins Glarner Mundartwörterbuch – auch am Glarner Mundartwörterbuch mit. Mehr dazu auf www.vglmwb.ch. Sie stellt dazu fest: «Meine lebenslange Freude an der Glarner Mundart wurde zu meinem Hobby. » Dabei ist dieses Hobby geistige Knochenarbeit. Rund 4200 Stunden Arbeit schätzt die Projektleitung bis zum Ende des Projekts 2023. «Zu dritt haben wir inzwischen rund 22 000 Glarner Wörter in ein Redak­tionssystem erfasst, das Redaktorenteam wertet diese dann aus. Zudem befragen wir auch Informanten. Die Idee des Glarner Wörterbuchs ist ja nicht einfach so entstanden. Wir erfuhren von Prof. Dr. Marianne Duval-Valentin, einer Französin, die an der Sorbonne ihre Dissertation übers Glarnerdeutsch schrieb. Sie arbeitete an ­einem Glarner Wörterbuch, welches Französisch, Glarnerdeutsch und Hochdeutsch sein sollte. Eine interessante Frau, als gebürtige Ungarin sprach sie sieben Sprachen, darunter Glarnerdeutsch – und zwar wie du und ich. Wir haben sie in Zürich getroffen, da war sie bereits über 80 Jahre alt.» Allerdings verstarb sie zwei Jahre nach diesem Treffen und ihre Wohnung in Paris musste geräumt werden. Durch einen Bekannten kam ein Teil von Duvals Unterlagen in Dodo Brunners Keller. «Es waren zwei Kisten, eine mit tausenden von Karteikarten, eine mit Glarnerdeutschbüchern und der Dissertation der Madame Duval.» Die Mitglieder der Academia setzten sich darauf mit dem damaligen Bildungsdirektor Benjamin Mühlemann in Verbindung und nach Abklärungen mit Landesarchivar Fritz Rigendinger beschloss man, die Karteikarten zu scannen, die Kisten im Landesarchiv einzulagern, und weitere Glarnerdeutsch-Glossare ins zu erstellende Wörterbuch einzuarbeiten. «Das Schreiben von Kolumnen auf Glarnertüütsch, das Organisieren von Lesungen und vor allem die Mitarbeit bei der Erarbeitung und Herausgabe eines Glarner Mundart-Wörterbuchs helfen mir, geistig fit zu bleiben.»

Ausblick
«Zu körperlicher Fitness verhelfen mir meine sportlichen Tätigkeiten wie Schwimmen, Skifahren, Velofahren und Wandern. Die Tatsache, dass ich einen Teil meiner freien Zeit für Freiwilligenarbeit zur Verfügung stellen kann, gibt mir das Gefühl, gebraucht zu werden. Und alle drei Bereiche – Hobby, Sport, Freiwilligenarbeit – sorgen für ein gutes soziales Netzwerk.» Ihr Wunsch für die Zukunft wäre? «Das, was sich wohl die meisten wünschen: Frieden, Sicherheit und überhaupt, dass die Menschen untereinander ein menschlicheres Klima leben würden und ganz aktuell einige Personen, die sich für die Sitznachtwache am Kantonsspital melden.»

FJ

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