Glarner Alpbilanz: Zufrieden und dankbar

Das Senten Altenoren Chäsboden wird angeführt von den Stieren der Herde, geführt von Albert Horner (links). (Fotos: FJ)

Geschmückt, ohrenbetäubend mit den Glocken dröhnend und sehr zügig ausschreitend: vielen Glarnerinnen und Glarnern geht das Herz auf beim Vorüberziehen der Alptiere. Rasch ist der Alpabzug vorbei und nur die Kuhfladen auf dem Asphalt erinnern an diese Tradition. Wie aber fällt der Rückblick der Älpler und Älplerinnen aus?

Am Alpabzug in Schwanden – direkt vor dem FRIDOLIN-Gebäude – versammeln sich Hunderte von Schaulustigen, von der Pfadi Murten bis Büchelbläser Fridolin aus Rüti, alle lauschen sie Bauernverbandspräsident Fritz Waldvogel, der den Anlass moderiert und interessante Informationen zur Alpwirtschaft hat. «Viehwirtschaft», so Waldvogel, «ist ein sicherer Wert.» Selbst in einem trockenen Sommer oder wenn es immer regnet. Auch von der Topographie her ist das Glarnerland Milch- und Fleischland, wobei auf zwei Stufen gewirtschaftet wird. Zwei Drittel der Fläche sind Alpen, ein Drittel liegt im Tal – für die meisten Betriebe sind sowohl Alp- wie Talwirtschaft existentiell.

Personalaufwand wächst
Es gibt Betriebe, für die sich der Direktverkauf lohne, so Waldvogel, doch das hänge von den Produkten ab und ob der Hofladen auch gut zugänglich sei. Auf vielen Alpen wächst der Personalaufwand, auch wegen des Wolfs. Wo wenig Kleinvieh ist – etwa im Jura – wachse der Druck des Wolfes auf das Rindvieh, im Glarnerland haben vor allem Ziegen- und Schafbauern, insbesondere im Sernftal, das Raubtier zu spüren bekommen. Die definitive Bilanz steht hier noch aus. Aber vom Wassermangel sei man mehrheitlich verschont geblieben. «Einzig auf Bodmen und Oberlängenegg war Wasser knapp.» Waldvogel verweist auf kreative Lösungen von Bauern, welche Regenwasser als «Grauwasser» sammeln und es im Stall zum Reinigen verwenden. Das spart Quellwasser.

Der FRIDOLIN fragte auch bei Älplerinnen und Älplern nach der Käseproduktion, nach Futter und Wasser, ob sie genügend Personal hatten, ob Tiere verloren gingen und wie der Strom auf die Alp kommt.

Heuboden
Familie Tschudi-Länzlinger bewirtschaftet die Heubodenalp. Vor einem Jahr hat Peter Tschudi sie von seinen Eltern übernommen. 65 Milchkühe, 75 Rinder und 25 Schweine wurden gesömmert. «Im Vorsommer gab es viel Milch und wir konnten viel Käse produzieren. Auch im Nachsommer lief es gut. Die Menge ist heuer klar über dem Durchschnitt. Und auch mit der Qualität des Käses sind wir sehr zufrieden. Auf den Weiden hatte es genügend Wasser, sie waren immer grün, und die Tiere hatten ausreichend Futter. In der Sennerei war immer genug Wasser vorhanden. Aber beim Tränken gab es einen Engpass bei unserer Quelle auf dem Mittelstafel. Deshalb mussten wir zwei Wochen lang einmal täglich mit dem Tankwagen hochfahren. So gab es zwei Kubikmeter zusätzlich für die Tiere. Im Vergleich zu 2018 war es weniger schlimm. Trotzdem müssen wir uns etwas überlegen. Eventuell graben wir eine Leitung zum Oberstafel.»

Hatten Sie Verluste zu beklagen? «Ja, wir hatten dieses Jahr Pech: Eine Kuh ist abgestürzt und war gleich tot. Ein Schwein ist gestorben, wir wissen nicht genau weshalb. Und wir mussten zwei Rinder notschlachten wegen Beinbruchs. Mit dem Wolf hatten wir zum Glück keine Probleme, obwohl er in der Nähe ist. Ein Nachbar hat einen gesehen und auch ein Jäger hat von einem Wolf berichtet.»

Hatten Sie Personalmangel? «Dieses Jahr war es sehr gut, drei letztjährige Angestellte waren wieder dabei. 2020 war es schwieriger gewesen, geeignete Leute zu finden. Und natürlich hilft die ganze Familie mit.» Zum Thema Sromproduktion berichtet Tschudi, für die Sennerei sei aktuell ein Dieselgenerator im Einsatz. Der Oberstafel ist nicht am Netz, dort planen Tschudis Photovoltaik.

Altenoren Chäsboden
«Es war etwas trocken», sagt Ruth Horner vom Alpbetrieb Altenoren. «Die Quellen gaben weniger Wasser als normal. Deshalb mussten wir gut einteilen und das Wasser auf alle Alpen verteilen.» Horners betreiben eine sogenannte Portionenweide. Die Tiere sind eingezäunt und es wird gedüngt. Später zieht man ein Stück weiter. So steht immer genügend Gras zur Verfügung.

Mit der Käseproduktion sind die Horners sehr zufrieden. «Unsere Kühe kalbern auf der Alp. So haben wir immer gleichviel Milch zur Verfügung. Wir haben etwas weniger Käse produziert, aber wir sind wirklich zufrieden.» Dagegen war der Personalmangel gross. Das liegt vermutlich auch daran, dass die Arbeit sehr streng ist. «Da gibt es nichts zu beschönigen. Um 4 Uhr geht es los, manchmal bis 20 Uhr.» Zum Glück konnte eine Quereinsteigerin gefunden werden, sie arbeitet sonst als Physiotherapeutin, und war eine grosse Hilfe. «Die Familie hilft viel. Unser Junior war oft da. Nächste Saison wird er sie Alp übernehmen. Es halfen wirklich alle mit, auch die zehn Enkel.»

Gab es Verluste? «Der Wolf ist bei uns kein Thema. Wir machen keinen Herdenschutz, die Kälbli sind drin, wir haben genügend Ställe. So haben wir immer die Übersicht über unsere Tiere. Auch sonst haben wir keine Tiere verloren, im Gegenteil, es wurden viele Kälbli geboren. Es war ein guter Alpsommer.»

Altenoren Chrummlaui
Die 36 Blumengestecke für die Sente »Altenoren Chrummlaui» von Jakob Tschudi-Bühler, wurden während einer Woche von sieben einsatzfreudigen Helfenden angefertigt. Am Samstag, 24. September, war der grosse Tag, um mit 60 Kühen und Rindern den langen Heimweg anzutreten.

Um halb vier Uhr wurde gemolken, und als die Kühe Blumengestecke auf ihren Köpfen und Glocken am Halse trugen, startete man nach dem Frühstück um 6.30 Uhr. Der 27 Kilometer lange Marsch führte über Linthal, wo sieben Kinder dazu kamen, nach Schwanden und Ennenda bis zum Hof der Familie. Den Betrieb führen Sereina und Pirmin Krauer-Tschudi seit einigen Monaten in dritter Generation, Älpler waren Susi und Jakob Tschudi-Bühler, die früheren Hofbesitzer.

Die Familien blicken auf einen erfolgreichen Alpsommer zurück, dankbar über den reibungslosen Ablauf in den Sommermonaten. «Wasserknappheit gab es keine», so die Bäuerin. «Die Vegetation war aber dieses Jahr rund zwei Wochen früher als in anderen Jahren.» Zu beklagen habe man glücklicherweise keine kranken oder verstorbenen Tiere, auch Wölfe habe man keine gesichtet. Doch freut man sich über einen beachtlichen Käseertrag. Rund 3,5 bis 4 Tonnen aktuell und den gibt’s wie üblich im Hofladen der Familie sowie an den Markt-Samstagen in Glarus zu kaufen.

Für die Bauernfamilien ist der Alpheimgang immer ein Ereignis. «Danken möchten wir alleen, die uns, manchmal mit erheblicher Geduld, auf der Route empfangen und uns Getränke anbieten und applaudieren. Nicht zu vergessen, die Autofahrenden sowie Fussgänger.»

Intschialp, UR
Giorgio Hösli aus Mollis ist in Älplerkreisen bekannt, er hat das Alpstellenportal zalp.ch mit aufgebaut. Heuer ist er auf der Intschialp, oberhalb von Gurtnellen, als Rinderhirt angestellt. Er resümiert die generelle Situation der Älpler in der Schweiz. «Die Milchproduktion nimmt auf den Alpen generell zu, weil mit der Produktion von Alpkäse ein höherer Preis erreicht werden kann, als mit dem Milchverkauf im Tal. Das Alpjahr 2022 hat früh begonnen, das bedeutet normalerweise viel Alpkäse. Das warme Wetter war teilweise ein Problem: Die Kühlung der Milch ist schwieriger, und wenn die Keller zu warm sind, kann es zu ungewollten Gärungen im Käse kommen, was geschmackliche Veränderungen verursacht.»

Wie sah es aus mit Wasser und Futter? «Die Innerschweizer Alpen hatten meistens genügend Wasser. Dagegen war es in den Kantonen Freiburg, Waadt und Jura sehr trocken. Dass Wasser per Heli geflogen wird, ist eher selten und nützt bei vertrockneten Weiden nichts. Im Jura mit seinem Kalkgestein gehört Wassermangel dazu. Regenwasser vom Hüttendach wird in Tanks aufbewahrt und in die Weidebrunnen gepumpt. Aber auch dazu braucht’s Tage mit Regen. In Zukunft werden wir aufgrund zunehmender Trockenheit in den Schweizer Alpen neue Quellen erschliessen, die Aufbewahrung verbessern oder Wasser hochpumpen und in Tanks aufbewahren müssen.»

Gab es Tierverluste? «Im Gegensatz zum Glarnerland ist der Wolf dieses Jahr in Uri nur selten in Erscheinung getreten. Ich hatte ein abgegangenes Tier wegen Steinschlags, und wir mussten eine verletzte Kuh runterfliegen lassen. Ein Rind hatte sich den Fuss zwischen zwei Steinen eingeklemmt und das Bein gebrochen. Es tut einem seweh, das Tier leiden zu sehen, während man auf den Tierarzt wartet. Eine Tötung mit Bolzenschuss oder Einschläferung darf nur durch den Tierarzt oder eine Fachperson vorgenommen werden. Bei Kleinvieh ist es ab diesem Sommer im Bündnerland möglich, für Älpler mit absolviertem Kurs, eine Bolzenschusstötung vorzunehmen.

Wie war die Personalsituation? «Der Personalmangel war 2022 prekär. Es gab deutlich mehr offene Stellen als Stellensuchende. Im Coronasommer 2020 war es anders, da gab es viele auf Stellensuche, auch Anfänger.» Die Stellenbörse zalp.ch lief heiss, laut Giorgio Hösli hatte seine Website 100000 Klicks pro Monat.

Welche Bedeutung hat die Stromproduktion? «Kuhalpen brauchen Strom. Hier kommen neben Dieselgeneratoren auch Wasserstrahlturbinen für Melkmaschinen zum Einsatz, entweder direkt via Vakuum oder via Stromturbine. Oder eben eine Stromleitung vom Tal. Solaranlagen sind vor allem bei Hütten von Rinderalpen ein Thema.» Aber es mache wenig Sinn, für drei Monate Nutzung grosse Anlagen zu installieren. «Hier wäre die Nutzung von Stalldächern im Tal effizienter.»

Am kommenden Sonntag, 2. Oktober, ist der 27. Alpchäs- und Schabziger-Märt Elm, diesmal wieder im Dorfkern – eine ideale Gelegenheit, sich selber ein Bild vom Alpsommer zu machen.

Søren Ehlers, Susanne von Dach, FJ
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