Zum Speichstock - einem Unbekannten im Glarner Hochgebirge

In der Ausgabe vom 8. September gab es eine Fotografie des ausgeaperten Claridengletschers mit dem mächtigen Tödi im Hintergrund, aufgenommen vom Gipfel des Speichstocks am 29. August. Speichstock? Noch nie gehört! Selbst viele Ersteiger des Gemsfairen werden nicht  bemerken, dass sein Nachbarberg diesen Namen trägt. Im grossen Gipfeldreieck Tödi-Clariden-Gemsfairen ist er effektiv ein kaum beachteter Aussenseiter. Dabei ist er ein grossartiger Aussichtspunkt zwischen dem Claridengletscher-Plateau und dem Hochtal des Urnerbodens zum Klausenpass.  Aber woher kommt denn sein Name?

Im Jahr 1863 wurde der Schweizerische Alpenclub in Olten gegründet. Der Initiant dazu, Dr. R. Th. Simler, hatte im Jahr 1861 den Tödi mit dem damals erfahrensten Glarner Führer, Heinrich Elmer, bestiegen. Dort oben, in der noch weitgehenden "terra incognita" der Glarner Gletscherwelt,  war seine Idee eines Zusammenschlusses der schweizerischen Alpinisten gereift, zur Endzeit der Erstbesteigungen der Alpen-Viertausender, vom Mont Blanc bis zur Bernina. Und der frisch gegründete SAC ging mit Tatendrang und Feuereifer an seine alpinen Ziele heran.

Bereits im gleichen Sommer 1863 wurde die " Erste Excursion im officiellen Gebiete Tödi-Claridengruppe" durchgeführt, organisiert von Dr. Simler. Die Teilnehmer wurden quasi militärisch in drei "Detachemente" eingeteilt: in die 1. "Section Porta da Spescha", in die 2. "Grünhorn-Tödi" und in die 3. "Claridenstock". Denn der war, wie auch der schwierige Bifertenstock, noch nie von einem Menschen betreten worden. Die Mitglieder der Sektion Aarau erhielten die Aufgabe, den Clariden endlich auch zu erobern. Da sie das Gebiet ja noch gar nicht kannten, wurden ihnen drei besser gebietskundige Glarner zugeordnet, nämlich zwei der Erstbesteiger des Glarner Tödi (nicht des Piz Russein!), Thomas Thut und Thomas Vögeli. Und zum "Chef" ernannt: "Heinrich Speich, Dessinateur von Ennenda", Mitglied der ebenfalls schon gegründeten Sektion Tödi.

Nun gab es ja damals weder die Claridenhütte noch die Fridolinshütte und schon gar nicht die höchstgelegene, die Planurahütte. Einzig die Grünhornhütte neben dem Bifertengletscher, zwar nur ein Mauergeviert mit einer Plache obendrauf, von den "Clubisten"  liebevoll "Hotel Grünhorn" benannt. Neben ihr lag die Basis für die Exkursionen bei den Alphütten von Obersand. Von hier aus machte die Truppe eine Erkundungstour für die Erstbesteigung des Clariden (die wegen einer Gewitter-und Regenfront am folgenden Tag dann nicht gelang). Sie erreichten aber das noch nicht so genannte Gemsfairenjoch und von hier aus den ebenfalls noch unbenannten ersten Gipfel im Gratverlauf vom Gemsfairenstock zum Clariden. Nur die Bergnamen südlich von ihm, die Tüfelsstöck und der Bocktschingel, waren auf der "Excursionskarte für 1863-1864" eingetragen, "gestochen von Kartograph R.Leuzinger, Mitglied des SAC". Übrigens ein höchst eindrückliches frühes Kartenwerk mit seinem Gletscherstand von Mitte des 19. Jahrhunderst, also zum Ende der sogenannten Kleinen Eiszeit! So kam die noch heute kaum beachtete Grathöhe Pt. 2966 zum Namen des Erstbesteigers, was damals nicht ungewöhnlich war. Wie etwa auch der Vordere Selbsanft zum "Hauserhorn" wurde, nach Caspar Hauser  (ersten Präsidenten der Sektion Tödi.)

 (Die spannend zu lesende Beschreibung dieser ersten SAC-Exkursion steht am Anfang im ersten Jahrbuch des SAC von 1864, einem beeindruckenden Werk von 600 Seiten!, mit zwei Farblithos als gefaltete Panoramen, Kupferstichen und der erwähnten Karte (antiquarisch mit Glück noch zu finden). Oder als Zusammenfassung in meinem ausführlichen Beitrag im "Neujahrsboten für Glarus Süd 2012" mit historischen Fotografien, zum 150 Jahre-Jubiläum des SAC im Jahr 2013.)

Albert Schmidt

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