Bezirksgemeinde 1847 - Ein Geniestreich?

Die Jahrhundertfrauen. (Foto: Hans-Ulrich Blöchliger)

Die Uraufführung des Festspiels «D’Schtund vo de Zuekunft» am 29. April im Innenhof des Kreuzstift Schänis war ein voller Erfolg! In der ausverkauften Vorstellung fanden sich zahlreiche ZuschauerInnen auf ihren Plätzen ein. Der kreisrunde Publikums-Raum ist, ähnlich dem Aufbau einer Uhr, von der Theaterbühne umgeben.

Ein blühender Kastanienbaum, der Sonnenuntergang und die beleuchteten Fenster des Alters- und Pflegezentrums, durch welche hin und wieder neugierige Augen schauen, verleihen der Kulisse einen ganz besonderen Charme. Durch Besucherstühle, die sich um einen Winkel von 360 Grad drehen lassen, kann die Aufführung in vollem Umfang betrachtet und gleichsam die schöne Bühnenszenerie aufgenommen werden.

Bereits 2013 entstand die Idee zu diesem Theaterprojekt und wurde anschliessend mit der Gründung des «Verein Kultur Schänis» zwei Jahre später fortgeführt. Gemeinsam mit der Regisseurin Barbara Schlumpf, dem Kunsthistoriker Stefan Paradowski und Fritz Schoch, dem Präsidenten des Trägervereins «Adebar Kultur», konnte das Projekt im Mai 2017 gestartet werden. Die fünf Berufsmusiker der Band «Schäbyschigg» begleiten das Festspiel stimmungsvoll.

Neun Jahrhundertfrauen ebnen den Weg
Das Freilichttheater, welches das Ereignis einer Abstimmung der Bezirksgemeinde am 2. Mai 1847 nachspielt, ermöglicht mit seinem Standort im Innenhof des Kreuzstift auch den Blick auf die Kirchturmuhr und das damit verbundene Geschehen, um welches sich noch heute Legenden ranken. Ein unerbittlicher Wahlkampf zwischen Konservativen und Liberalen. St. Gallen wird zum entscheidenden Kanton für die ganze Schweiz. Neun Jahrhundertfrauen führen durchs Stück und implizieren einen frischen Wind, der zur damaligen Zeit aufkam, als Frauen noch kein Wahlrecht hatten und anfingen, über ihre gesellschaftliche Rolle nachzudenken. Sie wollen mehr, sie können mehr und so fordern sie es auch. Der unbändige Drang nach Freiheit und Mitspracherecht kommt unter anderen durch die vielschichtigen Kostüme der Jahrhundertfrauen zum Ausdruck: Schicht für Schicht schälen sie sich aus ihren engen Kleidern und verkörpern somit die entfaltete Frauenbewegung von 1847 bis in unsere heutige Zeit. Aufgeweckt, frech und munter führen sie durch die verschiedenen Etappen des Stücks. Eine Geschichte von Frauen ohne Stimme, eine Geschichte, welche niemals ihre war, es nun aber werden soll.

Konservative kommen eine Stunde zu spät
Ob der Geniestreich, die überlieferte List mit der Kirchturmuhr nun wahr ist, oder nicht, wer weiss das schon. Auf jeden Fall konnten nicht genügend Konservative bei der Bezirksgemeinde am 2. Mai 1847 ihre Stimme abgeben, so dass die Liberalen siegten und eine neue Zeit eingeleitet werden konnte. In «D’Schtund vo de Zuekunft» ist es Elise Gmür (gespielt von Maria Rüegg), welche gemeinsam mit ihrer Freundin Johanna (gespielt von Claudia Rickenmann) einen Plan ausarbeitet, um die Abstimmung in die gewünschte Richtung zu lenken und so endlich eine Stimme zu erlangen, der Gehör geschenkt werden muss. In einer nächtlichen List stellen sie die Kirchturmuhr eine Stunde vor, wodurch die Abstimmung des nächsten Tages sich zeitlich ebenfalls verschiebt. Durch das Ausbleiben der konservativen Wähler gewann die liberale Partei und die heutige helvetische Verfassung kam in Gang, die Schweiz wurde zum Bundestaat. So wird Kirchturmpolitik gemacht! Ob den Schännern heute noch eine Stunde fehlt?

Juliane Bilges

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