Frauenporträt Carla Heer - Zuhören und miteinander reden

Ende Oktober hat Carla Heer zwei Tage lang an der Frauensession im Bundeshaus politisiert. Unter den 246 Teilnehmenden war sie die einzige aus dem Kanton Glarus. «Trotzdem war es wunderbar», sagt sie. Auch wenn die Frauen zum Teil radikale Forderungen vorlegten.

Ende Oktober hat Carla Heer zwei Tage lang an der Frauensession im Bundeshaus politisiert. Unter den 246 Teilnehmenden war sie die einzige aus dem Kanton Glarus. «Trotzdem war es wunderbar», sagt sie. Auch wenn die Frauen zum Teil radikale Forderungen vorlegten.

Da war zum Beispiel die Petition, den Frauenanteil in MINT-Berufen bis ins Jahr 2030 auf 50 Prozent zu steigern. MINT bedeutet: Mathematik, Informatik, Natur- und Ingenieurwissenschaft und Technik. Berufe, die männerdominiert sind. «Diese Forderung ist niemals möglich», sagt Carla Heer. «Wir müssten einen Ausbildungsstopp für Männer machen und viele zusätzliche Stellen schaffen.» Über eine solche Forderung würden sich die Politiker/-innen bloss lustig machen. Deswegen verliere sie die Chance, realisiert zu werden. «Aber letztlich haben wir den Entscheid mehrheitlich getroffen.»

Wer Politik macht, muss Kompromisse eingehen, auch über Parteigrenzen hinweg. Carla Heer ist kein Mitglied einer Partei, noch nicht. Ein politisches Engagement erfordere Zeit, sagt sie: «Deshalb überlege ich genau, wofür ich meine Zeit nutzen will.» Eines weiss sie jedoch schon heute: «Die Polparteien SP und SVP schliesse ich aus.» Und sie möchte nichts überstürzen: «Ich will nicht in drei Jahren feststellen: Oh, das ist doch nicht das, was ich will!»

Zuhören und argumentieren
Carla Heer hat in der Familie gelernt, aufmerksam zu sein. «Wir diskutieren viel über Politik und alles Mögliche.» Dabei sei zuhören und einander ausreden lassen selbstverständlich. Etwas, das aus ihrer Sicht verloren gehe. «Das sehe ich in der ‹Arena›, wo Politikerinnen und Politiker einander nicht ausreden lassen oder nur auf ihren eigenen Argumenten beharren.»

Neben ihrer Besonnenheit zeichnet Carla Heer auch der Wille aus. Ihren Weg von der KV-Lehre in Glarus zum Jus-Studium an der Uni in Zürich hat sie via Berufsmatura und Passerelle gemacht. Am Anfang pendelte sie regelmässig nach Zürich und konnte sich dort mit ihren «Gspändli» austauschen, wie sie sich ausdrückt. «Ab dem Winter 2020 musste ich anderthalb Jahre lang zu Hause studieren. Das fand ich suboptimal und ermüdend.» Den Kontakt zu ihren «Gspändli» hat sie aufrecht gehalten. Der Austausch ist ihr wichtig.

Auch darum arbeitet sie einen Tag pro Woche in einer Anwaltskanzlei. Dort kann sie einerseits ihre Kompetenzen aus dem KV nutzen und bekommt andererseits einen vertieften Blick in die Kanzleitätigkeit. Zudem engagiert sich Carla Heer in der Frauenzentrale Glarus, im Damenturnverein, und sie trainiert seit fünf Jahren regelmässig in einer kleinen Tanzcompany. Studium, Job, Frauenzentrale, Tanzen und Turnen – bleibt da noch Zeit fürs Nichtstun? «Ich achte stets darauf, genügend Zeit für all jene Dinge und Menschen zu haben, die mir wichtig sind.» Zudem wohne sie noch bei den Eltern, das vereinfache ihr Zeitmanagement.

Der Faktor Zeit
Zeit ist in der Politik oft ein lähmender Faktor. Vieles kommt nur zäh voran und es braucht viel Geduld. Kann Carla Heer verstehen, dass es Frauen gibt, die vehement mehr Tempo fordern? Mit der gerechten Verteilung von politischen Ämtern zum Beispiel? Sie versteht das, gibt aber zu bedenken: «Das liegt an unserem politischen System, wo zuhören und miteinander reden wichtig sind.» Da müsse man in Kauf nehmen, dass es langsam vorwärtsgehe.

Auch bei der Lohngleichheit hapert es. Sie zitiert eine Studie, welche für die Schweiz eine Lohndifferenz zwischen Mann und Frau von 15.1% ermittelt hat. «Das ist viel zu gross. Solange es solche Unterschiede gibt, müssen wir etwas dagegen unternehmen.» Was? «Die Frauensession hat eine Motion erarbeitet, die eine unabhängige Bundesbehörde zur Durchsetzung der Lohngleichheit verlangt.» Diese Behörde soll Missstände zur Anzeige bringen können.

Der Gender Data Gap
Verzögerungen und staatliche Eingriffe akzeptieren, um Gleichstellung zu erreichen? Carla Heer sieht weitere Möglichkeiten: «Wir Frauen müssen uns vermehrt engagieren.» Im besten Fall bereits als Jugendliche, in einer Jungpartei, oder bereits mit 16 an der Landsgemeinde. Hilft da auch, Vorbild zu sein? «Auf jeden Fall. Auch wenn es für Frauen immer noch schwierig ist, sich ins Rampenlicht zu stellen», meint sie und erzählt die Geschichte von Rosalind Franklin. Franklin entdeckte die Struktur der DNA und trug damit zu einer der grössten Entdeckungen der Wissenschaft bei. Den Nobelpreis dafür erhielten aber drei Männer. Die Begründung damals: man könne nicht mehr als drei Personen mit dem Preis auszeichnen. Darum mache es Sinn, so Heer, die Teilung in Männer- und Frauenberufe aufzugeben. Womit wir wieder bei den MINT-Berufen sind. Und damit bei einem Thema, das Carla Heer zurzeit stark beschäftigt: Der Gender Data Gap. In wissenschaftlichen Experimenten werden Frauen oft vergessen oder ignoriert. Zum Beispiel bei Crash-Tests mit Autos. Auch das ist eine Form von Diskriminierung und kann für Frauen fatale Folgen haben. Geschlechterspezifische Daten sind für die Gleichstellung von Frau und Mann unerlässlich. Genau hinschauen ist auch hier der erste, wichtige Schritt.

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